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Fatos Kücükyildiz (dunkles Trikot) war im Halbfinale des Olymp Final4 in ihrer Spielfreude mit vielen überraschenden Aktionen nur schwer von der Blomberger Abwehr zu stoppen.Foto: Olaf Hübner

Luchse leben ihren Traum

Buchholz/Stuttgart. Sie waren nach Stuttgart für das Saisonhighlight gefahren, und dann lebten die Handball-Luchse Buchholz 08-Rosengarten tatsächlich ihren Traum: Dank einer kämpferisch und emotional furiosen Leistung zwangen die Luchse Halbfinalgegner HSG Blomberg-Lippe mit 22:19 (13:12) beim Olymp Final4 in der Porsche-Arena in die Knie und durften das Mega-Event auch am zweiten Tag noch in vollen Zügen im Endspiel um den DHB-Pokal gegen die SG BBM Bietigheim genießen.
Schon im Vorfeld des Halbfinals war klar, dass für die Luchse gegen Blomberg mit Ex-Luchse-Trainer Steffen Birkner was gehen könnte. In der laufenden Bundesliga-Saison verloren die Luchse daheim nur mit einem Tor und knöpften der HSG auswärts ein Remis ab. Und schließlich wissen alle: Der Pokal hat seine eigenen Gesetze. Derjenige, der besser mit dem Druck der großen Veranstaltung mit Live-TV-Übertragung auf Sport1 umgehen können würde, hatte die besseren Karten.
Und das war am Sonnabend eindeutig der krasse Außenseiter aus der Nordheide: Denn während die Luchse den Druck in immense Freude am Handball umwandeln konnten, lastete die Anspannung bleiern auf den Schultern der Blombergerinnen und führte zu einer nicht für möglich gehaltenen Verkrampfung beim Tabellendritten. Der Favorit schaffe zwar noch den besseren Einstieg in die Partie und führte mit 5:2, doch allmählich ruckelte sich alles bei den Luchsen zurecht. „Wir mussten erstmal mit der riesigen Halle, der Situation und unserer Rolle klarkommen“, gestand nach der Partie Matthias Steinkamp aus dem Luchse-Trainerteam. Ihm und Kollegen Dubravko Prelcec war klar, dass ihre Mannschaft von allem schwer beeindruckt war.
Doch nach zehn Minuten waren die Luchse angekommen und hielten fortan durch eine exzellente Teamleistung und viel Disziplin dagegen. Nach einer Viertelstunde konnte Kim Berndt sogar die erste Führung zum 7:6 rauswerfen. Fortan bis zum Abpfiff bestimmten die Luchse das Spielgeschehen, ließen zwar mehrfach noch den Ausgleich zu, behaupteten aber ansonsten einen knappen Vorsprung.
Grundlage dafür war eine überragende Defensiv-Leistung: Die 6:0-Abwehr verschob auf schnellen Beinen immer wieder zur Ballseite, verdichtete Lücke, indem man sich unterstützte, und setzten den Blomberger Angriff mächtig unter Druck. Die HSG-Frauen hatten schon Stress dabei, den Ball überhaupt weiterzuspielen und wurden immer wieder zu Würfen aus schwierigen Situationen gezwungen. Und diese Versuche waren an diesem Tag sichere Beute einer sehr wachen Luchse-Keeperin: Zoe Ludwig ging mit der überragenden Quote von 41 Prozent parierter Bälle aus der Halbzeit, nahm freie Würfe von außen weg und leitete Konterläufe ein. Die waren zwar nicht immer von Erfolg gekrönt, aber – und das ist eine neue Qualität der Luchse – bracht das Team trotzdem nicht aus dem Konzept. Bestes Beispiel: Hatte Linksaußen Alexia Hauf ihren ersten Tempogegenstoß noch übers Tor gesemmelt, schweißte sie den nächsten eiskalt unter die Latte.
Im gebundenen Spiel lieferten die Luchse ein beeindruckendes Laufspiel mit vielen Kreuzbewegungen. Dabei suchte jede den Weg in die Tiefe zum eigenen Tor­abschluss. Fatos Kücükyildiz war starke Luchse-Taktgeberin, zog das Tempo an und setzte ihre Mitspielerinnen im Rückraum, Kim Berndt und Sarah Lamp, ebenso so klasse in Szene wie Kreisläuferin Evelyn Schulz.
Blombergs Nerven waren angegriffen. Die Mannschaft leistete sich viele Fehler und bekam keinen Schwung in den ansonsten wurfgewaltigen Rückraum. Einzig Nele Franz, kürzlich zur Spielerin der Saison der 1. Bundesliga gewählt, zeigte ihr Potenzial. Zwar gelang auch ihr nur ein Feldtor, aber gegen ihre insgesamt zehn Strafwürfe war kein Kraut gewachsen.
Die Luchse holten aus ihren Möglichkeiten alles heraus und behaupten zur Halbzeit das 13:12. Und wie schon zuletzt, spielte das Team auch im zweiten Durchgang diszipliniert und setzte die Marschroute weiter um. Blomberg konnte zwar durch Nele Franz zum 13:13 ausgleichen, aber der Rückzug der Luchse blieb konzentriert, Stoppfouls sorgten dafür, dass sich die eigene Deckung organisieren konnte und Blomberg in den Positionsangriff gezwungen wurde.

Feierstimmung nach dem Halbfinalerfolg bei Lisa Borutta (von links), Kim Bernst,Alexia Hauf und Evelyn Schulz.

Zwar spielte die Blomberger Abwehr nun aggressiver, machte die Mitte, über die die Luchse im ersten Abschnitt gut durchgebrochen waren, nun konsequenter zu und trieb die Gegnerinnen immer wieder ins Zeitspiel. Doch die Luchse blieben geduldig und spielten ihre Chancen auf den Punkt aus. Im Spiel nach vorne fehlte der HSG an diesem Tag das Wurfglück: Mehrfach traf das Birkner-Team nur das Aluminium bei freien Würfen von außen oder aus dem Konter. Nur Nele Franz hielt ihr Team im Spiel und sorgte auch für das 16:16 – natürlich wieder vom Punkt.
Prelcec und Steinkamp nahmen die Auszeit und stellten um: Evelyn Schulz ging in der Deckung in eine leicht vorgezogene Position; im Angriff sollte nun nicht mehr der Weg über die Mitte gesucht, sondern das Spiel breiter angelegt werden. Sarah Lamp setzte genau das um, nahm erst den Schwung aus der zweiten Welle mit und bediente kurz darauf Melissa Luschnat auf Linksaußen, die das 18:16 besorgte. „Evi“ Schulz, nach traumhaften Anspielen von Fatos Kücükyildiz, legte auf 20:19 vor, die eingewechselte Lisa Borutta tankte sich auf der halbrechten Position zum 21:19 in der 56. Minute durch. Dieser wichtige Treffer sollte die Vorentscheidung bedeuten.
Denn anders als beim Remis in Blomberg verloren die Luchse in den Schlussminuten nicht den Kopf. Kim Berndt kassierte zwar noch eine Zeitstrafe, aber die Luchse-Abwehr stand, das Team blieb auch jetzt noch hellwach. Ein weiterer Pfostentreffer der HSG und eine Parade von Zoe Ludwig brachten die Luchse auf die Siegerstraße. Da half auch die offene Manndeckung von Blomberg-Lippe in den letzten Sekunden nicht mehr: Kim Berndt bediente nach Doppelpass die sich freigelaufene Evelyn Schulz, der der 22:19-Siegtreffer gelang. Der Rest war Jubel und Freude pur.
Die Luchse haben ihrem Finaleinzug, dem größten Erfolg, einer großartigen Teamleistung zu verdanken. Prelcec und Steinkamp gaben allen Spielerinnen Einsatzzeiten, und die dankten es mit tollem Einsatz und fantastischem Teamgeist. Der HSG Blomberg-Lippe ging gerade diese Geschlossenheit etwas ab. Es war die starke Luchse-Abwehr, die Blomberg das Spiel vermieste: Im zweiten, torarmen Durchgang ließen die Luchse nur sieben Gegentore zu und davon fielen lediglich drei aus dem Feld, den Rest machte Nele Franz per Siebenmeter. Das zeigt die ganze Klasse der Luchse-Abwehrarbeit in einem intensiven, aber sehr fairen ersten Halbfinale beim Olymp Final4. Von Kathrin Röhlke

Stimmen zum Spiel

Evelyn Schulz: „Wir sind mega dankbar, dass wir das erleben dürfen“ Steffen Birkner, Trainer der HSG Blomberg-Lippe: Der Frust überwiegt gerade. Die Enttäuschung ist zu groß, um das Spiel schon taktisch zu analysieren. Wir hatten keine Wurfqualität aus dem Rückraum und haben in der ersten Hälfte schlecht verteidigt, weil wir immer den ersten Schritt der Luchse mitgemacht haben. So konnten wir insgesamt keine Sicherheit entwickeln. Das ist eine bittere Niederlage, die wir aber als Erfahrung mitnehmen müssen. Die Luchse haben es heute besser gemacht. Dubravko Prelcec und Matthias Steinkamp, Trainer der Luchse: Ein Wunsch von uns ist mit dem Finaleinzug in Erfüllung gegangen. Unsere Mannschaft hatte heute unglaublich viel Spaß am Spiel und hat das Spiel förmlich gelebt. Wir haben in der zweiten Halbzeit den Ball nicht mehr ganz so gut laufen lassen wie in der ersten Hälfte, aber bis zum Ende Mut bewiesen. Für das Finale werden wir noch einmal alles rausholen, was geht, auch wenn Bietigheim noch mal ein ganz anderes Kaliber ist und über außergewöhnliche individuelle Klasse verfügt. Aber so ein Finale erlebt man vielleicht nur einmal, da werden wir alles mobilisieren. Unsere verletzte Torfrau Mareike Vogel ist als ausgebildete Physiotherapeutin mit dabei und wird die Mädels versorgen. Sechs Spielerinnen haben sich bei ihr schon angemeldet. Ansonsten sollen die Mädels regenerieren. Wir sind unglaublich stolz auf unser Team. Evelyn Schulz, Luchse-Kreisläuferin: Das ist unfassbar! Wir sind mega dankbar, dass wir das erleben dürfen. Unsere Abwehr hat heute richtig Spaß gemacht, darüber haben wir uns Sicherheit geholt. Das hat Blomberg richtig wehgetat. Hier beim Olymp Final4 dabei zu sein, ist für uns ein Traum. Auch wenn keine Zuschauer dabei sind: Bei der Einlaufzeremonie mit den Fontänen hatte ich wirklich Gänsehaut. Die Veranstalter haben hier ein tolles Event für uns möglich gemacht. Fatos Kücükyildiz, Luchse-Spielmacherin: Wir haben das Spiel aufgrund der starken Teamleistung gewonnen. Und ich finde, dass wir zu Recht im Endspiel stehen: Wir haben schließlich alle unsere Pokalspiele gewonnen und uns den Endspieleinzug erarbeitet. In das Finale werden wir noch mal alles reinlegen, was geht, ohne an die beiden letzten Saisonspiele und die 1. Bundesliga zu denken.