Buchholz/Stuttgart. Mit 1:6 gerieten die Handball-Luchse Buchholz 08-Rosengarten im Finale um den deutschen Pokal ins Hintertreffen. Doch wer meinte, damit wäre die Messe schon gelesen, der sah sich arg getäuscht: Mit einer bravourösen Energieleistung drehte das Team das Spiel im Olymp Final4 in der Stuttgarter Porsche-Arena, ging in Führung und stellten dem haushohen Favoriten von der SG BBM Bietigheim echte Aufgaben. Erst in der Schlussphase der Partie konnte der Champions-League-Teilnehmer den Underdog mit 27:22 niederringen und erstmals in der Vereinsgeschichte den Pokal mit nach Bietigheim nehmen.
Das tat der Feierlaune der Luchse aber keinen Abbruch. Schon auf dem Medaillenpodest hopste das Team aufgeregt auf und ab, statt Tränen sahen die TV-Zuschauer bei Sport 1 glückliche Handballerinnen, denen Bietigheims Nationalspielerin Amelie Berger mal frech eine Sektdusche verabreichte. Schon zwei Minuten vor dem Abpfiff umarmte Luchse-Kreisläuferin Evelyn Schulz ihre Kontrahentin, Nationalspielerin Luisa Schulze, zur Gratulation an der Mittellinie. Die Stimmung war gelöst, die Luchse hatten alles gegeben sich teuer verkauft und fair dem Pokalsieger gratuliert. Klar, dass beide Teams die gelöste Stimmung nach dem Abpfiff auch gemeinsam genossen und zusammen feierten.
Mit übrigens einem großen Versprechen: Bietigheim trifft im letzten Saisonspiel der 1. Bundesliga auf Luchse-Kontrahent Frisch Auf Göppingen. Beide Teams kämpfen noch um den Relegationsplatz. „Wir schlagen Göppingen, und zwar für euch mit möglichst vielen Toren Unterschied“, versprachen die Bietigheimerinnen, die ihren ersehnten Pokalerfolg ihrer scheidenden Spielerin Anna Loerper, 246-fache Nationalspielerin, widmeten, die zum Saisonende ihre Leistungssportkarriere beendet. Und so ging das Interview mit der 36-Jährigen während der Pressekonferenz förmlich in einem Überfall ihrer Teamkameradinnen inklusive üppiger Sektdusche und viel Gelächter unter. Wer mag es ihr verdenken?
Die Luchse kamen wie schon im Halbfinale schwer ins Spiel, wären Bietigheim recht einfach ein 6:1 vorlegte. Die Luchse-Trainer Dubravko Prelcec und Matthias Steinkamp griffen früh zur Grünen Karten, erinnert ihr Team daran, die Verkrampfung in Freude am Spiel umzuwandeln. Genau das glückte unter den Augen von Bundestrainer Henk Groener, der das Spiel im Fernsehen kommentierte, furios. Plötzlich arbeitete die Abwehr wieder aufopferungsvoll, im Rückzug unterbanden die Luchse das Tempospiel des Tabellenzweiten und im Angriff legten man das Spiel breit an, um den Weltklasse-Mittelblock der Bietigheimerinnen zu umgehen. Alexia Hauf demonstrierte ihr Können auf Linksaußen, blieb insgesamt ohne Fehlversuch und traf nach 21 Minuten zum 8:8-Ausgleich. Bietigheims Coach Markus Gaugisch musste die Auszeit nehmen.
Den Lauf der Luchse konnte er damit nur kurz unterbrechen, denn der Underdog ging sogar in Führung und hatte zur Pause mit 13:11 die Nase vorne. Die Halbzeit schien gar eine Erlösung für die Bietigheimerinnen, die sich neu fokussieren konnten. Aber die Luchse blieben im Thema, hielten die Führung mit 18:15 (37.). Daran hatte auch Luchse-Torfrau Zoe Ludwig erheblichen Anteil, die unter anderem in einer spektakulären Aktion zunächst einen knallenharten Rückraumwurf abwehren konnten und auch den völlig freien Nachwurf von der dänischen Nationalspielerin Trine Jensen Ostergaard unschädlich machte und den dabei erlittenen Gesichtstreffer tapfer wegatmete.
Beim 19:19 war Bietigheim wieder dran und lenkte die Partie zu den eigenen Gunsten: Die Luchse gerieten im Angriff immer wieder ins Zeitspiel, mussten vorne nun noch aufmerksamer sein, weil Gaugisch 5:1 mit einer offensiven Xenia Smits, natürlich auch aus dem deutschen A-Kader, auf der Spitze decken ließ. Das kostete bei den Luchsen, die schon in der ersten Halbzeit Louise Cronstedt mit einer Knieverletzung verloren hatten, zusätzlich Körner. Wechsel-Alternativen fehlten. Bietigheim kam ab der 50. Minute (21:21) zu einfachen Ballgewinnen, konnte die ersten Konter der Partie überhaupt laufen und sich auf 27:21 absetzen. Mit einem wunderschönen Kempatrick von Maj Nielsen auf Kim Berndt zum 22:27 fand die Partie ein würdiges Ende.
Und 60 aufregenden Spielminuten fragte sich nicht nur der deutsche Bundestrainer Henk Groener, warum die Luchse, wenn sie denn so gut spielen können, etwas mit dem Abstieg aus der 1. Bundesliga zu tun haben. Auf jeden Fall machte die Mannschaft zwei Tage lang großartige Werbung für sich und für den deutschen Frauenhandball. Der Dank der Fans ist den Handball-Luchsen gewiss. Von Kathrin Röhlke
