2121Lüneburg. Er wird nur 26 Jahre alt werden. Sein dramatisch kurzes Leben verläuft manchmal himmelhoch jauchzend, doch viel häufiger zu Tode betrübt. Wolfgang Borchert zählt dank seines Heimkehrerdramas „Draußen vor der Tür“ zu den wichtigsten Autoren seiner Zeit. Als Wolfgang Liebeneiner das Stück zum 21. November 1947 an den Hamburger Kammerspielen inszeniert, ist Borchert einen Tag zuvor gestorben. Der gehasste Krieg hat ihn zermürbt. Gestern, am 20. Mai, vor hundert Jahren wurde der Schriftsteller geboren. Im Frühjahr vor 80 Jahren erlebte er „die schönste Zeit meines Lebens“, wie er später schrieb. Vom 3. April bis 6. Juni war er Schauspieler in Lüneburg – bis ihn die Kriegsmaschine aus aller Euphorie riss.
Buchhändlerlehre und Schauspiel-Unterricht
Die Liebe zum Theater entflammt, als der 15-jährige Junge aus Eppendorf Gustaf Gründgens als Hamlet sieht. Der Berufswunsch Schauspieler brennt in ihm. Als ihn sein Vater in einer Buchhändlerlehre unterbringt, nimmt der Lehrling abends Schauspiel-Unterricht bei Helmuth Gmelin, der später das Theater im Zimmer gründete.
Er ist ein glühender, schwärmerischer, sich hinreißen lassender und kein Pathos scheuender junger Mann. In einem Brief vom 27. April 1940 an einen Förderer, den Feuilletonisten Hugo Sieker, schreibt er, dass Gmelin sage: „Ich berauschte mich zu sehr an der Rede an sich – wäre zu sehr Dialektiker, Spieler und Sprecher, wobei ich den Sinn des Gesagten vergäße!“ Und trotzdem: „Ich fühle, daß mein Tag kommt. Genauso wie ich weiß, daß es für mich nichts anderes gibt als: Theater!“
Draußen toben Krieg und Terrror. Die Gestapo hat ihn immer wieder im Blick, vor allem wegen seiner berauschten, vom Expressionismus befeuerten Gedichte, wegen seiner Nähe zur verfolgten Swingjugend. Wolfgang Borchert schwärmt aber vor allem vom Theater und sieht eine entsprechende Karriere vor sich: „Ich bin von der Theaterkammer als ‚außergewöhnlich begabt‘ reklamiert, und das fällt natürlich nicht vom Himmel.“ Dann aber fällt er tief: Am 7. Februar 1941 kommt ein Einberufungsbefehl. Er kann ihn abwenden, darf seine Schauspielprüfung absolvieren, was am 21. März geschieht.
Es folgen drei berauschende Monate. Borchert wird von der Landesbühne Osthannover in Lüneburg engagiert. Intendant ist seit 1936 Hans Harloff, die Gage beträgt 150 Mark im Monat. Borchert wohnt kurz im Hotel, dann bei Frau Köllner in der Adolf-Hitler-Straße 9, der heutigen Lindenstraße.
Die Landesbühne sei „eine Art Thespiskarren: Wir spielen jeden Abend woanders, mal in Winsen, Stade, Bremen, Suderburg, Cuxhaven usw. Also ein herrliches Vagabundenleben!“, schreibt Borchert im April an den Schriftsteller und Journalisten Carl Albert Lange. Es geht auch auf die Dörfer: Bardowick, Barum, Pommoissel, Neuhaus.
Borchert spielt nicht Hamlet, sondern kleine Rollen in Klamotten: „Krach im Hinterhaus“, „Die vier Gesellen“, „Krach um Jolanthe“. Aber egal, für ihn ist das Leben ein Rausch. Er habe „schöne, große Rollen bekommen, wenngleich auch nicht in meinem Fach.“ Der neue Mann der Truppe mit seiner „sympathischen, eleganten Erscheinung“ wird gesehen, er werde „in Gesellschaftsstücken dankbare Verwendung finden“, schreibt Eberhard Tilgner in den Lüneburger Anzeigen.
Die Tage sind lang, die Nächte kurz. Der junge Schauspieler nimmt alles mit. „Saufen, huren, spielen – Leben! Theater, es gibt nichts Schöneres!“, schreibt er an die Künstlerin Vera Mohr-Möller. Er wählt in Briefen auch weit drastischere Worte, wenn er etwa seine Kolleginnen als nette Nutten charakterisiert und das nicht herabsetzend meint.
Hat Borchert Zeit, geht er ins Bali-Kino, trinkt Bier mit Kollegen in Emil Hennes Gaststätte „Zur Hoffnung“ am Sande, er schreibt Briefe, umschwärmt die Kollegin Heidi Boyes. Liebesbriefe an sie haben sich erhalten. Sie fotografiert ihn auch, wie er lässig in einem Lüneburger Hinterhof steht. Bei der Uraufführung von „Draußen vor der Tür“ wird sie auf der Bühne stehen.
Wehmut, Weltschmerz, dunkle Ahnungen
Nur drei Monate. Im Mai reisen die Schauspieler zur Truppenbetreuung ins Flämische. Wolfgang Borchert nicht. Hitlers Krieg ruft – und wird ihn fressen. Er hat noch ein paar Tage. Ihn packen Wehmut, Weltschmerz, dunkle Ahnungen. An Heidi Boyes schreibt er: „Dies ist mein letzter Brief aus unserem schönen Lüneburg – Abschied von dieser reizenden kleinen Stadt, Abschied von einer schönen Zeit, schön, weil Du da warst.“
Seine nächste Adresse Mitte Juni lautet: Tannenberg-Kaserne Block E, Weimar-Lützendorf. Alles Schwärmerische ist gewichen, alle Farbe wird grau, alle Illusionen platzen. An einem Sonntag im Sommer schreibt Borchert an Hugo Sieker: „Es war die schönste Zeit meines Lebens, und Sie können sich denken, wie schmerzlich diese fremde, sinnlose Welt mich aus meinem Lebenstraum gerissen hat! Es ist kaum zu ertragen – aber: es muß ja ertragen werden!“ Von Hans-Martin Koch
