Luhmühlen. Superlative sind eine gefährliche Sache. Man läuft schnell Gefahr, doch etwas oder jemanden zu übersehen. Sein Fall aber dürfte eindeutig sein. Hans Melzer aus Luhmühlen ist der erfolgreichste deutsche Bundestrainer im Pferdesport aller Zeiten. Am Sonntag feiert der Chef der deutschen Vielseitigkeitsreiter seinen 70. Geburtstag.
Vor 20 Jahren übernahm der gebürtige Kasseler das Amt. Damals stand es nicht gut um das deutsche Vielseitigkeitsreiten. „Ich hatte damals keine Ahnung, worauf das hinauslaufen würde“, sagt Melzer heute. Was kam, war eine goldene Ära, die Melzer mit seinen Reiterinnen und Reitern geprägt hat.
Goldmedaillen in Serie für deutsche Equipe
Waren die ersten Championate noch unter dem Stichwort Aufbauarbeit zu sehen, ging es 2004 in Athen los. Die deutsche Mannschaft gewann Gold, musste den Olympiasieg aber nach Protesten anderer Nationen wieder abgeben. Bettina Hoy, die damals Doppel-Gold geholt hätte, hatte beim abschießenden Springen zweimal die Startlinie überquert. Ihr wurden im Nachhinein 14 Sekunden aufaddiert, sie und das Team fielen entscheidend zurück. Es war eine der umstrittensten Entscheidungen in der Geschichte Olympischer Spiele.
Doch Melzer und seine Crew ließen sich nicht entmutigen. 2008 und 2012 gab es Olympiagold im Team, 2006 in Aachen und 2014 in Caen wurde die deutsche Equipe Weltmeister. Hinzu kam viermal EM-Gold, darunter zweimal beim Heimspiel in Luhmühlen (2011, 2019). Ganz zu schweigen von zahlreichen weiteren, andersfarbigen Medaillen und Titeln deutscher Einzelreiterinnen- und Reiter bei Championaten. Was für eine Bilanz!
Melzer, der in seiner Vita unter anderen Führungspositionen beim deutschen Olympiadekomitee für Reiterei (DOKR), der Landesreitschule Vechta und dem Ausbildungszentrum Luhmühlen (AZL) stehen hat, hatte den Mut, neue Strukturen zu fräsen.
Die Kaderreiter sollten sich zunächst alle gute Heimtrainer suchen. „Mit ein oder zwei Lehrgängen kann man nicht viel bewirken“, erklärt Melzer. Melzer führte moderne sportwissenschaftliche Methoden wie Leistungsdiagnostik und Sportpsychologie ein, organisierte Begleitungen der Top-Reiter bei großen Prüfungen. „Wir wollten die Aktiven vor Ort betreuen, um ständig als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen“ erzählt er. Kommunikation, Ansprache, Miteinander, Empathie – einige von Melzers großen Qualitäten.
Der Bundestrainer rief zudem die sogenannte Perspektivgruppe am deutschen Reiterstandort Warendorf ins Leben. Daraus sind in den vergangenen Jahren immer wieder Spitzenreiter wie Sandra Auffarth, Julia Krajewski, Dirk Schrade oder Andreas Ostholt hervorgegangen.
Erfolg bemisst sich für die Öffentlichkeit fast immer in Medaillen und Titeln. Letztlich sieht das Melzer so. „Wenn ich bei einem Turnier oder Championat antreten, dann will ich nicht nur dabei sein, dann will ich das gewinnen. Das ist der Anspruch. Das leben wir den Reitern vor und das müssen wir ihnen auch so vorleben“, sagt er.
Teamgeist und Empathie als Basis für den Erfolg
Aber es gibt für den Luhmühlener noch eine andere Seite des Erfolgs: „Für mich ist es auch ein Erfolg, wenn wir mit den Reitern zusammen junge Pferde ausbilden und sie dann für den Spitzensport herausbringen. So etwas wird von der Öffentlichkeit meist nicht so wahrgenommen.“
Als Beispiel nennt er den legendären Wallach Sam von Michael Jung. „Bei Sam hatten wir als Trainerteam erstmals Einfluss auf die Steuerung der Einsätze. Das hat sich bezahlt gemacht“, sagt Melzer. Sam und Jung gewannen alles, was es zu gewinnen gab.
Viele große Momente hat Hans Melzer als Bundestrainer erlebt. Unabhängig davon, dass mit Olympia in Tokio und der EM im September in der Schweiz noch weitere dazukommen können, an einen erinnert er sich besonders gern: „Das war der Olympiasieg 2012 in London. Es waren unglaublich tolle Spiele. Und dann im Mutterland des Vielseitigkeitssports Gold zu gewinnen, das war etwas ganz Besonderes.“
Geholfen hat damals, wie bei vielen anderen Championaten auch, ausgerechnet ein Engländer: Chris Bartle. Als Disziplintrainer Vielseitigkeit war er viele Jahre an Hans Melzers Seite und hatte entscheidenden Anteil am Erfolg. „Wir sind immer noch sehr gut befreundet. Der Teamgedanke stand bei uns immer im Vordergrund. Wir hatten nie Profilneurosen, haben uns super ergänzt“, schwelgt Melzer.
Teamgeist und Zusammengehörigkeit sind für den Bundestrainer von elementarer Bedeutung. Für den Sport und für das Leben. Für diese Werte steht Luhmühlen. Der kleine Heideort, in dem es, wie es heißt, mehr Pferde als Menschen gibt, ist für ihn und seine Ehefrau Anne seit vielen Jahren Heimat.
Unvergessener Empfang nach dem Drama von Athen
„Luhmühlen und sein Umfeld sind einmalig, das gibt es kein zweites Mal. Wir haben hier so viele Freunde“, sagt Melzer. Ob der Stammtisch in der Kalesche (wenn wieder möglich) oder der Support bei Turnieren durch die Luhmühlener Fans – das ist, was er sein zu Hause nennt.
Unvergessen die Szenen nach der Heimkehr vom Drama von Athen 2004. Freunde und Fans organisierten eine Willkommensparty für Melzer. Als er um die Ecke kam, traute er seinen Augen nicht. Dutzende Menschen jubelten und sangen: „Und wir haben ein Idol, Hans Melzer…“
Bis Ende dieses Jahres wird „Luhmühlens Idol“ noch Bundestrainer bleiben, dann übergibt er das Amt an Olympiasieger Peter Thomsen. Seinen 70. Geburtstag feiert er an diesem Sonntag übrigens standesgemäß: beim Vielseitigkeitsturnier im polnischen Baborowko. „Keine große Feier, vielleicht ein gemeinsames Bier mit den Leuten, die da sind“, sagt er. Und lächelt. Von Matthias Sobottka
