Ehestorf. Nissenhütten dienten nach dem Zweiten Weltkrieg tausenden von Heimatlosen als Unterkunft. Die Nissenhütte im Freilichtmuseum am Kiekeberg zeigt jetzt, wie Flüchtlinge, Vertriebene und Ausgebombte in den späten 1940er-Jahren lebten. Eine neue Ausstellung thematisiert den ärmlichen Alltag und die Diskriminierung der Bewohner, sie zeigt aber auch, dass die Behelfsheime Zehntausende vor Obdachlosigkeit retteten. Die Nissenhütte steht direkt neben der „Königsberger Straße“, die mit insgesamt fünf Gebäuden das Leben in der Nachkriegszeit zeigt. Die Ausstellung ist zu den regulären Museumszeiten geöffnet. Erwachsene zahlen 9 Euro Eintritt, für Besucher unter 18 Jahren ist er frei.
Ein Obdach in der ersten Not
Die kleinen Unterkünfte – es waren meist nur 50 Quadratmeter – wurden geteilt und beherbergten zwei große Familien. Die Teilung nutzt das Freilichtmuseum jetzt für die neue Ausstellung: „In dem einen Bereich zeigen wir, wie das Leben in der Nissenhütte die Bewohner prägte“, erläutert Verena Pohl, Abteilungsleiterin Volkskunde. „In der ersten großen Not gab sie ein Obdach, in dem sich manch einer jedoch jahrelang einrichten musste. Armut, desolate hygienische Verhältnisse, soziale Deklassierung – die Zeit nach dem Krieg war vor allem für Wohnungslose schwierig. Je länger der Notbehelf anhielt, desto wohnlicher wollten es sich die Menschen jedoch machen – auch diese Seite zeigen wir in der Ausstellung.“ Die Erzählung über die direkte Nachkriegszeit wird in der Ausstellung im „Haus der Geschichte“ fortgesetzt.
„2020 haben wir die große Ausstellung zum Leben in der Nachkriegszeit eröffnet, die den Bogen bis in die 1970er-Jahre schlägt“, erklärt Museumsdirektor Stefan Zimmermann. „Sie setzt bei Hamsterfahrten und ‚Organisieren‘ ein und zeigt dann die Aufbauleistungen und den wirtschaftlichen Aufschwung.“ Ergänzt wird die Ausstellung im anderen Teil der Nissenhütte durch einen Wohnraum, in dem Besucher die beengten Lebensverhältnisse nachempfinden können. „Wir zeigen, wie eine geflohene Großfamilie oder eine Flüchtlingsgruppe unterkam“, sagt Verena Pohl. Sie hatte nur das Nötigste: einfache, platzsparende, häufig beschädigte Möbel, einen Kanonenofen und wenige Haushaltsgeräte. Es gab keine Sanitäreinrichtungen oder Wasserversorgung, ein Waschhaus mit getrennten Bereichen für Männer und Frauen wurde von allen Lagerbewohnern genutzt.
Namensgeber ist ein kanadischer Offizier
Der Name der Nissenhütte wird auch aufgrund der Armut der damaligen Bewohner gern mit Nissen, Läusen oder Unreinheit in Verbindung gebracht – tatsächlich ist der Ursprung aber ein anderer: Namensgeber ist der Erfinder der Nissenhütte, der kanadische Offizier Peter Norman Nissen. Nissenhütten wurden während des Ersten Weltkriegs als Unterkünfte für kurzfristige militärische Einsätze erdacht, sie sollten von vier Soldaten innerhalb von vier Stunden errichtet werden können.
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die halbrunden Wellblechhütten in der britischen Besatzungszone eingesetzt, um Notlager zu errichten. 1946 gab es allein in Hamburg 41 Nissenhüttenlager mit 42 000 Menschen, die im Krieg ihre Bleibe verloren hatten. Besonders in den stark zerstörten Städten gaben die provisorischen Notbehausungen erstes Obdach und verhinderten Massenerfrierungen im Winter. Die Nissenhütte im Freilichtmuseum am Kiekeberg wurde 2007 eröffnet. Sie stammt aus dem britischen Stationierungsgebiet „Camp Reinsehlen“ bei Schneverdingen und wurde in den 1950er-Jahren erbaut.
In der direkten Nachkriegszeit war Obdach und Mangel allgegenwärtig: Zu den Menschen, deren Wohnungen in den Städten zerstört waren, kamen die Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten, die Unterkunft suchten. Allein im Landkreis Harburg verdoppelte sich daher die Bevölkerungszahl in der Nachkriegszeit gegenüber 1939. Neben bereitgestellten Notunterkünften, wie den Nissenhütten, war es notwendig, durch gemeindliche Wohnungsausschüsse Wohn- und Bauraum zu beschlagnahmen und Zwangseinquartierungen bei Einheimischen durchzuführen. Trotz alledem blieb die Wohnungsnot zunächst so groß, dass sich viele Flüchtlinge selbst um eine Bleibe kümmern mussten – in Kellern, in Hütten und in Erdkuhlen suchten Obdach-lose Schutz vor den Witterungen.
An einigen Wochenenden im Jahr stellt die Gruppe „Gelebte Geschichte nach 1945“ dar, wie eine aus Ostpreußen geflüchtete Großfamilie in der Nissenhütte wohnt. Sie kocht draußen auf der Kochhexe, baut Obst und Gemüse im Garten vor der Tür an und berichtet von ihrem Leben vor dem Krieg, von Flucht und der Ankunft in der Fremde, in der sie sich einen Platz in der Gesellschaft erkämpfen. wa
