Lüneburg/Maschen. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes kann nur ein Spiel mit der Playstation entfernt sein. Oder nur ein gleichgültiges Abnicken des Vaters. Das Landgericht Lüneburg hat gestern den Seevetaler Pascal W. (32) wegen des schweren sexuellen Missbrauchs eines 13-jährigen Jungen zu einer Haft von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die nur einen Tag dauernde Verhandlung öffnete ein Fenster zu einer Welt verschobener Unrechtsgrenzen. In der die sexuelle Ausbeutung eines Kindes nicht schwerer wiegt als „das Klauen von Bonbons“. Und in der die Verrohung vererbt wird.
Pascal W. gestand, zwischen Februar und September 2013 den 13-Jährigen siebenmal missbraucht zu haben. Das Kind ist der Neffe der Ex-Partnerin von Pascal W. und zugleich der Bruder eines Jungen, der im Fußballverein von dem 32-Jährigen trainiert wurde. Physische Gewalt wandte der Angeklagte nicht an, drang auch nicht in sein Opfer ein. Er machte sich den Jungen gefügig, indem er ihn entweder mit stundenlangem Spiel auf der Playstation belohnte oder indem er ihm drohte, sich der Polizei zu stellen und dabei den Vater des Jungen „mit reinzuziehen“. Sowohl vor der Polizei als auch in der Verhandlung vor der 2. großen Jugendkammer sagte Pascal W. aus, dass er dem Vater des 13-Jährigen angekündigt hatte, was er mit ihm vorhabe. Der Vater habe ihm mit einem „Ich weiß von nichts“ den Zugang zum Jungen erlaubt.
Der Vater bestreitet dies. Der Komplex wird in einem anderen Verfahren behandelt. Die Fahnder hatten auf dem Computer des Vaters und auf dem von Pascal W. einen verstörenden Fund gemacht: Ein mehrere Jahre altes Video, in dem der damals etwa achtjährige Junge – das aktuelle Opfer – und seine etwa fünf Jahre ältere Schwester versuchen, Sex miteinander zu haben.
Eine Lage, in der Ankläger, Kammer, Verteidiger und sogar der Täter einig darin waren, dem Opfer die Aussage möglichst ersparen zu wollen. Pascal W. räumte alle Taten ein, im Gegenzug kam es zwischen den Verfahrensbeteiligten zu einer Absprache, um das Verfahren zu beschleunigen. Zwischen drei und dreieinhalb Jahren sollte der Strafkorridor für Pascal W. liegen. Dabei rechneten die Lüneburger Richter noch eine Verurteilung des Amtsgerichtes Stade zu zwei Jahren Haft wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in die Gesamtstrafe mit ein. Damals hatte Pascal W. einen Zehnjährigen oral befriedigt. Die nun in Lüneburg verurteilten Taten lagen zeitlich aber noch vor dieser Tat, waren damals den Ermittlern nur noch nicht bekannt gewesen.
„Typisch“ für einen Kinderschänder
Verteidiger Hont Péter Hetényi, Rechtsanwalt aus Hamburg, charakterisierte den Lebensweg seines Mandanten als „typisch“ für einen Kinderschänder. „Der Vater Alkoholiker, die Mutter ging auf den Strich.“ Außenseiter in der Schule. Heim nach dem Tod des Vaters. Ein älterer Mann, für Pascal W. eine Art Ersatzvater, missbrauchte ihn. Ebenso wie in den Jahren zuvor der eigene Vater die beiden Schwestern von Pascal W. Wer so groß wird, sagt dann auch im Gerichtssaal: „Ich dachte, wenn ich den Jungen befriedige, ist das ungefähr so strafbar, als wenn ich Bonbons klauen würde.“
Wenig verwunderlich, dass Pascal W., der selbst Vater eines Kindes ist, vor seinem Geständnis sogar auf eine Bewährungsstrafe gehofft hatte. Die konnte es nicht werden, formal wäre sogar eine Sicherungsverwahrung infrage gekommen, wie der Erste Staatsanwalt ausführte. In Haft hat Pascal W. eine Sozialtherapie begonnen und mehr Einblicke darin gewonnen, welche Schäden er in den Köpfen der Opfer anrichtet. Vor der Polizei hatte der 13-Jährige ausgesagt, wie er dem Täter beim Onanieren zugucken musste: „Ich hasse es, so etwas Ekliges zu sehen. Hab es nur gemacht, weil er gedroht hat, meinen Vater mit reinzuziehen.“
Dass Pascal W. nach den 22 Monaten Haft, die er bereits verbüßt hat, nun vermutlich nicht mehr lange hinter Gittern sitzen wird, ist auch auf dessen Begutachtung durch den Psychiater Dr. Reiner Friedrich zurückzuführen. Der hatte ihn als Nebenströmungspädophilen und nicht als „Hangtäter“ eingestuft. „Ich steh auf Jungs“, sagt Pascal W. selbst, der als Fußballtrainer in Maschen Elfjährige beaufsichtigte. Doch laut Psychiater ist er nicht ausschließlich auf Kinder fixiert, hat schließlich auch mit einer Gleichaltrigen – die allerdings unter Vormundschaft steht – ein Kind gezeugt.
Die Kammer rechnete dem nicht vorbestraften Pascal W. positiv an, dass er geständig und therapiewillig sei. Doch der Vorsitzende Richter Dr. Volker König mahnte: „Entweder Sie kriegen das in den Griff oder sie verschwinden beim nächsten Übergriff für lange Zeit hinter Gitter.“ Das Amtsgericht Stade hatte in seinem Urteil vom 31. Mai 2019 das Therapieversprechen des Täters noch als „haltlos“ vom Tisch gewischt. Es wird sich erweisen, wie viel Substanz die Scham des Täters hat: „Ich bereue meine Taten zutiefst“, las er vom Blatt ab. Von Joachim Zießler
