Buchholz. Wenn im Gerätefinale einer Deutschen Meisterschaft kurz vorm wichtigsten Sprung der jungen Karriere die Bundestrainerin mal eben kommt und so im Vorbeigehen fragt, ob man denn unter Umständen bei der zweiten Olympia-Qualifikation in 14 Tagen mitturnen könnte, dann kann das ein junges Talent ganz schön aus dem Konzept bringen. Nicht allerdings Karina Schönmaier von Blau-Weiss Buchholz. Die 15-Jährige war offenbar schon im „Tunnel“, konzentrierte sich auf ihren neuen Sprung, als Ulla Koch sie ansprach. Denn Karina lieferte trotzdem und durfte am Ende bei ihren ersten Deutschen Meisterschafen (DM) in der Frauenklasse in Dortmund jetzt die Bronzemedaille im Sprung mit nach Hause nehmen.
„Naja, ich musste die anderen später erst mal fragen, was die Bundestrainerin eigentlich zu mir gesagt hat. Hab ich gar nicht richtig mitgekriegt. Und als ich am Anlauf etwas warten musste, habe ich ganz schön gezittert“, gibt die zierliche Medaillengewinnerin dann beim Empfang in der Sport-Arena in Buchholz zu. „Ich habe da nur gedachte: atme!“ Das tat die Schülerin zwar, muss allerdings am nächsten Tag feststellen, dass sie mächtigen Muskelkater im Rücken hatte – „vom angespannten Stehen und Zittern“.
Optimale Bedingungen in der Sport-Arena
Den Muskelkater nahm Karina aber gerne in Kauf. Die Deutsche Jugend-Mehrkampfmeisterin vom Dezember 2020 hatte seit Wochen hart und diszipliniert auf ihre Premiere bei den Frauen hingearbeitet. Beste Voraussetzung dafür schaffen ihre Heimatverein TuS Huchtingen und vor allem auch Blau-Weiss Buchholz. Der Klub, für den sie seit 2015 startet, lieferte Karina und ihrem Team, bei dem maßgeblich Trainerin Katharina Kort, Abteilungsleiterin Susanne Tidecks und Mutter Tatjana mithelfen, optimale Trainingsvoraussetzungen. In der riesigen loftartige Sport-Arena, die früher einen Baumarkt beherbergte, in Buchholz kann Karina trainieren, wann immer sie wollte. Für das Turnass wurden zusätzliche Trainer engagiert, darunter der frühere Bundestrainer Wolfgang Bohner und befreundete Trainer aus der Ukraine. Dank Homeschooling hatten Karina und Katharina die Chance, täglich von Bremen nach Buchholz zu pilgern und je zwei Trainingseinheiten an sechs Tagen in der Woche zu absolvieren.
Die 15-jährige Blondine ist eher zurückhalten, schüchtern. Aber ehrgeizig, das gibt Karina selbst zu. Nach dem Gewinn der Jugendmeisterschaft im Dezember war alles auf die Frauen-DM ausgerichtet. Inklusive der neuen Elemente. Wie den Überschlagsalto mit halber Drehung in der zweiten Flugphase am Sprungtisch. In einem Wettkampf hatte Karina den noch nie gezeigt. Das Einturnen verlief denn auch alles andere als überzeugend: Beide Sprünge landete Karina auf dem Popo. Schlechter konnte es gar nicht laufen. Zudem war das gesamte Umfeld Neuland: Kameras, die den Anlauf begleiten, Drohnen, die alles von oben filmen. Und dann waren ja auch all die Stars da, die Karina sonst höchstens mal aus der Ferne gesehen hatte.
Doch eines hat Karina in den letzten Monaten gelernt: Sie kann sich fokussieren, bringt auf den Punkt das, was sie kann. Bestärkt von den prominenten Konkurrentinnen – „die waren alle total nett zu mir“ –, zog Karina nicht nur den Überschlag-sprung sauber durch, sondern brachte auch den anschließenden Tsukahara gebückt gut in den Stand. Damit hatte die 15-Jährige Bronze in der Tasche.
Ausgangswerte müssen sich steigern
Im Mehrkampf sprang ein überraschend guter 14. Rang bei Karinas Wettkampfpremiere bei den Frauen heraus. Überall kam die 15-Jährige ohne großer Fehler durch. Am Boden verpasste sie nur hauchdünn den Finaleinzug. Doch Karina und ihre Trainerinnen wissen: Wenn man wirklich ganz oben mitmischen will, und das will Karina, dann müssen die Ausgangswerte der Übungen höher sein. „Von den einzelnen Elementen turnt Karina nicht schlechter als die Besten. Nur die liefern mehr hochwertige Verbindungsteile“, erklärt Katharina Kort. Auch an Choreographie und Ausstrahlung wollen beide arbeiten. Immerhin: Nach ihrem zweiten gestandenen Sprung bei den Deutschen und in der Gewissheit, Bronze in Reichweite zu haben, zauberte sich plötzlich eine süßes Lächeln in Karinas Gesicht.
Dieses dürfte noch breiter werden, wenn Karina tatsächlich die Einladung zur zweiten Olympia-Qualifikation nach München erhält: Dort stellen sich die besten acht deutschen Turnerinnen vor. Karina ist zweite Nach-rückerin. Die Chancen, tatsächlich dabei zu sein und sich noch einmal im Reigen der deutschen Spitzenturnerinnen wie Kim Bui und Elisabeth Seitz zu präsentieren, stehen gar nicht mal so schlecht, weil sich viele Top-Turnerinnen mit Verletzungen herumplagen. Und deswegen powert Karina weiter ihr strammes Trainingspensum durch. Die 15-Jährige ist bereit für alles, was da kommt. Von Kathrin Röhlke
[box type=“info“ align=““ class=““ width=“330pixel“]Karina Schönmaier
Turnen, weil sie es liebt
Mit sechs Jahren kam Karina zum Turntraining. Schnell waren allen klar: Dieses Kind ist begabt. Bewegungsmuster, die selbst ältere Kinder mühsam lernen müssen, waren für die Sechsjährige ein Klacks. „Karina war ein absolutes Bewegungstalent mit ganz viel Mut“, erinnert sich Trainerin Katharina Kort an den kleinen Turnfloh, der überall hochkletterte. Das ist zum Glück bis heute so geblieben. Wohl auch, weil Karina sich bewusst gegen die Option entschieden hat, in ein Internat zu wechseln. Zwar kann dort in der Regel ein viel größerer Trainingsumfang, koordiniert mit der Schule, geleistet werden, aber es fehlt vielen Kindern das familiäre Umfeld. Und genau das ist Karina wichtig. Deswegen stricken Katharina Kort und Susanne Tidecks unentwegt daran, ihrem Schützling die optimalsten Möglichkeiten zu bieten. Mit Erfolg: Karina turnt schon länger in der 2. Bundesliga für das TurnTeam Kiehn Group Lüneburg und hat in dieser Saison den Aufstieg ins deutsche Oberhaus vor Augen. Ihr Lieblingsgerät: der Stufenbarren, „weil man da so schön fliegen kann“. Ihr Vorbild: der US-amerikanische Turnstar Simone Biles. Ihr Motto: „Im Leistungssport kannst du nichts erzwingen. Das machst du, weil du es liebst!“[/box]