You are currently viewing Kunststätte Bossard und die NS-Zeit: „Ein Tschernobyl der Zeitgeschichte“

Kunststätte Bossard und die NS-Zeit: „Ein Tschernobyl der Zeitgeschichte“

Anzeige

Lüllau. Wie er sich denn nun in der Kunststätte fühle? „Saumäßig!“ Ivar Buterfas-Frankenthal nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch nicht beim jetzt in der Kunststätte Bossard geführten Ateliergespräch mit Journalist Hans-Jürgen Börner, Mitglied im Vorstand der Stiftung Johann und Jutta Bossard. Der Anlass: ein erneutes öffentliches Gespräch über das Hakenkreuz im Boden des Edda-Saals.
Der 89-jährige Buterfas-Frankenthal aus Bendestorf gehört zu den Überlebenden des Holocausts. „Ich kann den Mund auftun für all die, die es nicht mehr können“, sagt der alte Herr immer noch hochgradig engagiert und emotional. Und so wird er zum Ankläger. Muss er wohl auch, weil es immer weniger Zeitzeugen gibt.
Vorwurf der Schlamperei
„Sie haben geschlampt“, ruft er erregt in Richtung von Landrat Rainer Rempe. Der Stiftungsrat hätte doch nicht warten müssen, bis die ganze Welt über Jesteburg lacht. „Sie haben damit unserem Land geschadet.“ Aufklärung habe sich Buterfas-Frankenthal gewünscht, anstatt einen Teppich über das besagte 40 mal 40 Zentimeter große Mosaik – im Edda-Saal gibt es 266 Mosaiken – zu decken. Nun sei der Schaden angerichtet und nicht mehr zu beheben.
Der Landrat, qua Amtes Vorsitzender des Stiftungsrates, trägt alle Vorwürfe mit Fassung und kann erklären. Er erläutert noch einmal die Chronologie der Geschehnisse und den Jetzt-Zustand. Inzwischen sei der Teppich längst verschwunden, das Hakenkreuz durch einen nachträglich aufgebrachten Farbauftrag abgeschwächt. Ein zusätzliches Plakat weise am Edda-Saal auf die Problematik hin. Und genau diese Entscheidungen seien gefallen, nachdem sich der Stiftungsrat mit Buterfas-Frankenthal persönlich ausgetauscht habe. „Wir sind entsprechend Ihrer Wünsche vorgegangen.“
Kunststätte ein „Tschernobyl der Zeitgeschichte“?
Martin Doerry, der für den „Spiegel“ im vergangenen Jahr einen entscheidenden Artikel über Bossard als Nazi-Sympathisant verfasste, war auch beim Ateliergespräch dabei. Er schlug in dieselbe Kerbe wie der prominente Gast aus Bendestorf: „Das ist hier alles kontaminiertes Gelände, ein Tschernobyl der Zeitgeschichte. Bossard war Antisemit und Rassist. Das kriegen sie hier nicht raus.“
Darüber, wie stark Bossard der nationalsozialistischen Ideologie zugetan war, forscht derzeit das Institut für Zeitgeschichte. Den Auftrag erteilte der Stiftungsrat. Diese Ergebnisse wolle man abwarten. „Wenn von dort kommt, dass das hier eine ,Nazi-Bude‘ ist, wissen wir, was zu tun ist“, meinte Börner stellvertretend für den Vorstand.
Aufklärung für die Gegenwart und Zukunft
Buterfas-Frankenthal selbst beendete die Veranstaltung nach knapp einer Stunde. Das darf er sich vermutlich in seinem Alter herausnehmen. Zu den Fragen, wie man das Dilemma, dass sich das Hakenkreuz-Mosaik inmitten eines einzigartigen Gesamtkunstwerkes befindet, auflösen könne, entwickelte sich die Diskussion nicht mehr. Buterfas-Frankenthal wollte oder konnte sich dazu nicht äußern. Seine Meinung steht fest: „Heute passieren wieder Morde unter dem Hakenkreuz. Wir können kein Hakenkreuz verteidigen!“
Einig waren sich aber wohl alle Anwesenden im entscheidenden Punkt: Es muss eine pro-aktive Aufklärung über Bossards Gesinnung, über die Kunst im Nationalsozialismus schlechthin geben. Aufklärung ist gefragt, damit Geschichte nicht vergessen wird, sondern man Lehren für die Zukunft daraus zieht. Von Kathrin Röhlke