Fliegenberg. Es schien zunächst ein Routineeinsatz zu sein, wie ihn der Streifendienst der Polizei fast täglich zu fahren hat: Streitigkeiten müssten geschlichtet werden, hieß es gestern, ein Fahrzeug wurde am Nachmittag deshalb in die Straße In de Reuth nach Fliegenberg geschickt. Doch kurz nachdem der Einsatz eigentlich schon beendet ist, eskalierte die Situation praktisch aus dem Nichts. Am Ende vermeldete die Polizei vier Verletzte, darunter drei Polizisten.
Nach bisherigem Kenntnisstand hat der mutmaßliche spätere 42-jährige Täter um 13.50 Uhr selbst den Notruf gewählt und berichtet, dass er in seinem Haus an der Straße In de Reuth mit dem Fahrer eines Lieferdienstes in Streit geraten sei. „Die eingesetzten Beamten konnten die Situation klären, der Fall war damit für sie eigentlich schon erledigt“, erklärt Polizeisprecher Henning Flader. Die Streife fährt wieder weg.
Als das Polizeiauto auf freier Strecke auf der Steller Chaussee unterwegs ist, nähert sich von hinten mit überhöhter Geschwindigkeit ein weißer Kleinwagen. Am Steuer: der 42-jährige Mann. Er rammt den Streifenwagen von hinten, beide Fahrzeuge stoppen, alle drei Insassen steigen aus.
„Dann ist der Mann unvermittelt auf die Polizistin zugegangen und hat ihr mit einer Stichwaffe eine Schnittverletzung am Arm zugefügt“, schildert Flader. Anschließend sei der Angreifer in ein Maisfeld geflüchtet. Der Polizist fordert Verstärkung und einen Rettungswagen an. Einige Hundert Meter weiter rennt der 42-Jährige wieder auf die Straße, hält einen Trecker an und steigt in die Fahrerkabine. „Nach derzeitigem Ermittlungsstand hat er den Fahrer aber nicht bedroht“, so der Polizeisprecher. Beamte stoppen den landwirtschaftlichen Zug, unter dem Einsatz von Pfefferspray gelingt es ihnen, den bis dahin unbekannten Angreifer aus dem Führerhaus zu ziehen und zu überwältigen. Dabei erleiden drei Polizisten Reizungen im Gesicht durch das Pfefferspray. Der Täter wird unter Polizeibegleitung ins Krankenhaus gefahren, auch er ist verletzt.
Die Steller Chaussee nach dem unvermittelten Angriff: Die Polizei hat den Tatort weiträumig abgesperrt. Experten sichern Spuren. Auch Spürhunde werden eingesetzt, denn die Tatwaffe ist bislang nicht gefunden worden. Es liegt eine angespannte Stille über dem Tatort.
Dass in Fliegenberg die viel frequentierte Verbindung nach Stelle gesperrt ist, tragen die meisten Verkehrsteilnehmer mit Fassung. Aus der entgegengesetzten Richtung staut sich der Verkehr bis unmittelbar vor dem mit Strohrollen geladenen Traktor, in dem der mutmaßlicheTäter überwältigt werden konnte.
Der Fahrer eines weiteren landwirtschaftlichen Gespanns ist ausgestiegen. Wenden kann er mit seinem Gefährt auf der Landstraße ohnehin nicht. Mit ihm stehen einige weitere Autofahrer auf der Straße. „Wie kann man denn so was machen? Eine Polizistin angreifen?“ Die Leute können den Vorfall nicht verstehen, nicht einordnen, bringen keinen Funken Verständnis für den Mann auf, der die Beamtin verletzt hat.
Die Polizisten durchstreifen derweil die Seitenstreifen entlang der Fahrbahn, suchen immer noch nach der Tatwaffe. Eine Hundeführerin bittet alle, Abstand zu halten: „Mein Hund ist scharf, besser Sie bleiben weiter weg.“ Mit einem Spielzeug im Maul schnüffelt der Polizeihund am Rande eines Maisfeldes. Die Beamtin befragt auch den tschechischen Treckerfahrer, der den mutmaßlichen Täter mitgenommen hat. Dann wird weiter gesucht, zur Verstärkung wird die Bereitschaftspolizei alarmiert. Bei Redaktionsschluss fehlte von der Waffe immer noch jede Spur.
Bislang sind in dem Fall noch viele Fragen offen. So konnte die Polizei gestern keine Angaben über das Motiv des Mannes machen. „Es ist möglich, dass er sich in einem psychischen Ausnahmezustand befand“, sagt Polizeisprecher Flader. Weitere Ermittlungserkenntnisse erhoffte man sich am Abend. Dann sollte auch entschieden werden, ob der Mann womöglich in die Psychiatrie eingeliefert wird. Von Kathrin Röhlke und Thomas Mitzlaff
