Winsen. „Es macht Spaß zuzuschauen, wie die Natur sich Stück für Stück ihren Lebensraum zurückholt“, sagt der Diplom-Biologe Dietrich Westphal aus Winsen. Sein fachmännisches Urteil: „Die Gewässer im Naturschutzgebiet Luhe-Ilmenau-Niederung sind auf einem guten Weg.“ Im Auftrag der Stiftung Lebensraum Elbe aus Hamburg kartiert Westphal die Amphibien. Das heißt er zählt, wie viele Frösche und Kröten in den neu entstandenen Gewässern nördlich der Winsener Altstadt auftreten und laichen. Denn das Areal soll auch ein Refugium für Amphibien werden.
Das ist eines der Ziele, die die Stiftung Lebensraum Elbe aus Hamburg mit der 2020 abgeschlossenen Renaturierung verfolgt. Abgeschlossen sind allerdings nur die Bauarbeiten: Unter dem Motto „Schwung für die Luhe“ und mithilfe von EU-Fördergeldern hatte die Stiftung im Naturschutzgebiet in den vergangenen Jahren auf einer Fläche von etwa 20 Hektar neue Flussarme angelegt, die Luhe mäandert jetzt. Das Projekt selbst geht weiter, die durch die Baumaßnahmen angestoßenen Veränderungen des Biotopes werden auch in den kommenden Jahren von der Stiftung und der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Harburg wissenschaftlich begleitet. Die Kartierung der Amphibien ist ein Teil des Projektes. Dem WA zeigte Westphal jetzt vor Ort, was sich dort seit dem Umbau der Landschaft bereits entwickelt hat.
NABU-Mitglied Westphal ist vertraut mit der Geschichte des Areals, kennt das Gelände noch aus den 1980er-Jahren. „Damals war der Altarm der Luhe ein Refugium für viele seltene Tierarten“, sagt er. Hunderte von Grasfröschen laichten in dem flachen, aber noch ausreichend Wasser führenden Gewässer. Im Laufe der Jahrzehnte trocknete der vom Fluss abgetrennte Altarm aber immer mehr aus – in der Folge fanden sich deutlich weniger Laichballen in den Uferbereichen. Heute ist der Altarm wieder an die Luhe angeschlossen, ist Teil der neuen, langsam fließenden Flusslandschaft, die nicht nur vielen Vögeln neue Lebensräume bietet, sondern auch ein Stück Hochwasserschutz darstellt. „Den Amphibien nutzt das aber wenig“, stellt der Biologe klar. Denn die Luhe ist den Gezeiten unterworfen und Frösche und Kröten mögen das nicht: Sie laichen lieber in den vier extra angelegten Teichen, die zugleich Teil des Beweidungsprojektes mit Galloway-Rindern sind (der WA berichtete).
Laichzahlen steigen deutlich an
Und die neuen Biotope werden gut angenommen, wie Westphal festgestellt hat. Und zwar sowohl in dem von den Rindern kurz gehaltenen Landschaftsteil als auch in dem bisher noch nicht beweideten Teil des Areals. „Wir haben noch nicht wieder die Laichzahlen wie in den 1980er-Jahren“, sagt er, „aber sie steigen an.“ Die „drei üblichen Verdächtigen“ hat der Biologe bisher ausgemacht: Erdkröten, Grasfrösche und Teichfrösche. Auch der seltene Moorfrosch könnte auf dem Areal wieder Fuß gefasst haben, da ist sich Westphal aber noch nicht ganz sicher.
Die Grasfrösche sind mittlerweile wieder weg, sie legen im Frühjahr lediglich ihre Laichballen in die Gewässer. Die Teichfrösche sind dagegen Dauerbewohner, die sich zurzeit bevorzugt in den am Ufer mit Schilf zugewachsenen Weihern im nicht beweideten Teil aufhalten. Anwohner der fast im Herzen der Stadt liegenden Fläche konnten den ganzen Sommer deren nächtliches Quaken hören.
Einen Konflikt zwischen Amphibienwohl und Beweidung sieht Westphal nicht. „Es ist gewollt, dass die Rinder, die die Gewässer als Tränke nutzen, die Uferböschung heruntertreten und den Schilfbewuchs reduzieren“, sagt er. Die flacheren Uferbereiche erleichtern den jungen Fröschen, die sich aus den Kaulquappen entwickeln, den Ausstieg aus dem Gewässer. Außerdem sonnen sich Amphibien gerne, was in offenen Gewässern leichter fällt. Auf der anderen Seite sieht Westphal durchaus die Gefahr, dass die Vierbeiner zu viele Pflanzen aus den Tümpeln wegfressen. Sein Vorschlag: „Die Teiche könnten zeitweise abgezäunt werden.“ Wenn die Galloways, wie angekündigt, demnächst auf die noch nicht beweidete Fläche umziehen, könne sich die Vegetation in und an den bisher als Tränke genutzten Tümpeln aber auch erholen.
Die Natur besiedelt den Raum selbst
Projektleiter Karsten Borggräfe von der Stiftung Lebensraum Elbe ist sehr zufrieden. „Ziel war es, neue Stillgewässer in der Niederung zu schaffen, um damit eine Entwicklung anzustoßen“, sagte er dem WA. Mit den baulichen Maßnahmen habe man neue Lebensräume geschaffen, „die Natur besiedelt sie nun selbst“. Das scheine gut zu funktionieren. Die neu angelegten Teiche würden Rückzugsräume für Amphibien bilden, die wiederum das Nahrungsangebot für Störche und andere Vögel der Marsch vergrößern.
Es sei ein Prozess angestoßen worden, der noch lange nicht abgeschlossen sei. „Die Natur erobert sich ihren Raum sukzessive zurück, es wird in den kommenden Jahren immer wieder Veränderungen geben“, erklärte Borggräfe. Und eventuell müsse man sogar noch mal nachsteuern. Auch deshalb ist es so wichtig, dass Fachleute wie Dietrich Westphal das renaturierte Areal nördlich des Winsener Altstadtrings weiterhin so genau beobachten. Von Rainer Krey
