Winsen. „Herdenschutz erlebbar machen“ war das Motto einer Veranstaltung, zu der Wendelin Schmücker, Vorsitzender des Fördervereins der Deutschen Schafhaltung, jetzt Presse und Fernsehen auf seinen Schäferhof in Winsen einlud. Einmal mehr ging es um die vom Wolf ausgehenden Gefahren und um die Grenzen des Herdenschutzes durch Zäune und Herdenschutzhunde. Schmückers Thema: „Wir möchten vor Ort zeigen und erklären, wo Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Herdenschutzes entstehen.“ Am Ende landete der streitbare Schäfer wieder bei seiner Forderung, die Wolfspopulationen mittels Jagd deutlich zu reduzieren. Seine These: Mehr als 350 Wölfe bundesweit verkraftet Deutschland nicht, ohne dass es zu massiven Konflikten mit der Viehwirtschaft kommt.
128 Wolfsrudel, 39 Wolfspaare und neun einzelne Wölfe seien bundesweit im Monitoringjahr 2019/20 nachgewiesen worden, sagte Schmücker. Wobei ein Rudel aus etwa zehn Tieren bestehe. Die Anzahl der geschädigten Nutztiere habe sich in den letzten Jahren fast verdoppelt: Wurden 2018 insgesamt 2067 Nutztiere vom Wolf getötet, waren es 2019 schon 2894 Nutztiere und im Jahr 2020 insgesamt 3959 – davon 3444 Schafe.
Schmücker kennt das Problem von den Berichten seiner Kollegen, aber auch aus eigener Erfahrung: „2018 hab ich bei zwei Wolfsübergriffen in Mechtersen insgesamt 27 Tiere verloren“, schilder er. Seitdem meidet er diesen Standort. Auf seinem eigenen Schäferei-Gelände im Winsener Ortsteil Borstel, direkt neben der Autobahn, seien die Tiere relativ sicher. Aber wie fast alle seine Kollegen im norddeutschen Raum, kommt er mit seinen eigenen Grünflächen – Schmücker besitzt 60 Hektar – allein nicht aus. Im Winter, wenn das Gras kaum wächst, geht auch der Winsener Schäfer mit seinen 700 Muttertieren und einigen 100 Lämmern auf Wanderschaft.
Wolfsicher sind nur Tierpark-Zäune
Und genau da hat der Vorsitzende des Fördervereins der Deutschen Schafhalter ein Problem mit den Lösungsvorschlägen in Sachen Herdenschutz, die die Experten von Bund und Land präsentieren. Er ist überzeugt: Wirklich wirksame Zaunlösungen lassen sich im mobilen Bereich kaum realisieren – geschweige denn bezahlen. „Wolfssichere Zäune findet man in Tierparks, die sind 2,70 hoch“, sagt Schmücker.
Für den mobilen Einsatz empfehlen die Experten sogenannte wolfsabweisende Zäune, die in der Regel unter Strom stehen. Die gibt es in verschiedenen Höhen. Die 90 Zentimeter hohe Variante entspricht dem, was die Schäfer sowieso einsetzen, um die Schafe zusammenzuhalten. „Da springt ein Wolf locker drüber“, so Schmücker. Das Land empfiehlt mindestens 105 Zentimeter hohe Zäune, der Bund sogar eine Höhe von 120 Zentimetern. Die höchsten mobilen Zäune sind 145 Zentimeter hoch. Dass höhere Zäune etwas bringen, bezweifelt der Schäfer. „Bei einem Wolfsangriff geraten die Schafe in Panik, die reißen dann selbst die Zäune nieder und die Wölfe haben freie Bahn“, sagt er.
Außerdem sei der tägliche Aufbau von solch großen Netzzäunen nicht praktikabel. „Eine 50-Meter-Bahn eines 90 Zentimeter hohen Zaunes wiegt etwa 5,5 bis 6 Kilo“, rechnet Schmücker vor, „ein 145 Meter hoher Zaun wiegt das Dreifache“.
Bei einer Zaunlänge von 500 Metern ergibt das ein ordentliches Gewicht. Denn die Zäune werden aufwendig mit der Hand gezogen, zuvor muss das Gras entlang des Zaunes gekürzt werden, damit der Strom – bis zu 10 000 Volt – nicht in den Boden geleitet wird. Oft werden die Zaunelemente auch mit Menschenkraft an Ort und Stelle gebracht – denn nicht alle Untergründe lassen sich mit Maschinen befahren. „Irgendwann geht das auf die Knochen“, so der Schäfer. Zumal die meisten Schäferbetriebe reine Familienbetriebe sind und keine Angestellten haben.
Zuschüsse sind auf 30000 Euro gedeckelt
Dazu kommt der Kostenfaktor: Die 145-Zentimeter-Zäune sind nicht nur dreimal so schwer, sondern auch dreimal so teurer. Zwar gebe es Zuschüsse vom Land, Schmücker selbst hat sie aber noch nicht in Anspruch genommen. „Dafür müsste ich mich verpflichten, die Schäferei mindestens fünf Jahre fortzusetzen“, sagt er. Das will er nicht. Denn der Beruf ist alles andere als lukrativ. Dank des Fleischverkaufs schreibe er zwar schwarze Zahlen, aber es ist hart verdientes Geld.
Das einmal im Jahr notwendige Scheren der Schafe ist sogar ein dickes Minusgeschäft – die Wolle ist fast wertlos, niemand will die haben, die Schafscherer müssen aber bezahlt werden. Und der Zuschuss, den das Land für Herdenschutzmaßnahmen wie neue Zäune oder die Anschaffung von Herdenschutzhunden zahlt, sei auf 30 000 Euro pro Betrieb gedeckelt, wie Schmucker berichtet. „Wenn ich alle meine Zäune erneuern und mir die 16 notwendigen Herdenschutzhunde zulegen würde, käme ich auf Kosten von etwa 252.000 Euro“, sagt der Winsener Schäfer.
Auch deshalb verzichtet Wendelin Schmücker auf Herdenschutzhunde und erneuert seine Forderung an Bund und Land, endlich die rechtlichen Voraussetzungen für die Bejagung der Wölfe zu schaffen.
Mit dem Land Niedersachsen habe er gar keine großen Probleme, sagt der Schafhalter. „Umweltminister Olaf Lies tut bereits alles, was in seiner Macht steht“, so sein Eindruck. Der Bund sei gefordert, er müsse endlich die EU-Richtlinie, die eine kontrollierte Bejagung des Wolfs erlaubt, in nationales Recht umsetzen, „Das Bundesnaturschutzgesetz muss geändert werden“, appelliert er an die hiesigen Bundestagsabgeordneten, die zu dem Medientermin am Mittwoch wegen der Afghanistan-Sondersitzung des Bundestags nicht erscheinen konnten.
Frankreich und Schweden würden es vormachen: Höchstgrenzen für die Wolfspopulationen müssten her, dazu Schutzgebiete eingerichtet werden, die für Wölfe ganz tabu sind. „Niemand will die Wölfe wieder ausrotten“, sagt Schmücker, „aber die Populationen dürfen nicht weiter unkontrolliert wachsen!“ Ansonsten würden immer mehr Schäfereien aufgeben. Und das Schaf, der Landschaftspfleger Nummer 1, hätte keine Zukunft mehr. Von Rainer Krey
