Winsen. Ein neben der Klingel am Haupteingang des Winsener Krankenhauses befestigter Zettel sorgt für Unmut bei vielen Patienten: „Der Hausärztliche Bereitschaftsdienst findet heute nicht statt. Bitte weichen Sie nach Buchholz oder Lüneburg aus“, war dort auch am Dienstagabend wieder zu lesen. Die Notfallpraxis, so wird sie im Volksmund genannt, soll eigentlich die Zeiten abdecken, zu denen andere Arztpraxen geschlossen sind – abends und am Wochenende. Aber das klappt zurzeit nicht so, wie es sich auch der Betreiber wünscht. „Es kommt derzeit leider immer wieder zu kurzfristigen Praxisschließungen“, räumt Oliver Christoffers von der Bezirksstelle Lüneburg der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) ein. Schuld an der Misere seien personelle Engpässe bei den medizinischen Fach-angestellten. „Ich kann die Verärgerung der Patie ntinnen und Patienten gut verstehen“, sagte Christoffers dem WA und versprach: „Wir arbeiten an einer schnellen Lösung!“
Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist mittlerweile bundesweit gesetzlich geregelt. Im Landkreis Harburg gibt es zwei Notfallpraxen, die reihum von den niedergelassenen Ärzten des Bereichs besetzt werden: Die im Krankenhaus Winsen ist für den Ostkreis zuständig, die im Krankenhaus Buchholz für den Westkreis – die Grenze verläuft etwa entlang der A 7. „Winsen gehörte vor circa 20 Jahren zu den ersten Städten in Niedersachsen, die so eine Praxis einrichteten“, weiß Christoffers. Früher im Ärztezentrum in der Marktstraße angesiedelt, ist sie seit einigen Jahren im Krankenhaus untergebracht. Etwas anderes hat sich erst in diesem Sommer verändert: Zum 1. Juli übernahm eine eigens dafür gegründete, landesweit aktive Tochter-GmbH der KVN die Bereitschaftspraxis im Krankenhaus Winsen, bis dato war ein Verein der Träger.
Trägerschaft-Wechsel als Auslöser?
Und diese Übergabe in Sachen Trägerschaft war wohl der Anlass – nicht unbedingt der Grund – für den in Winsen besonders heftigen Aderlass bei den medizinischen Fachangestellten. Davon ist zumindest Dr. Christian Lohde, Allgemeinmediziner aus Maschen und kommissarischer Sprecher der Kassenärzte im Landkreis Harburg, überzeugt. Lohde war bis zur Auflösung des Vereins einer von zwei Sprechern des bisherigen Trägers und hat die Entwicklung hautnah mitbekommen. „In Winsen haben zum Trägerschaftwechsel viele medizinische Fachangestellte gekündigt“, weiß er. Über die Gründe dafür kann auch er nur spekulieren – aber vieles spricht dafür, dass die Corona-Pandemie indirekt einen erheblichen Einfluss hatte. „In den Impfzentren können die medizinischen Fachangestellten mehr verdienen“, sagt Lohde.
Oliver Christoffers von der KVN sieht das ähnlich. „Corona hat viele alternative Möglichkeiten für den Berufstand geschaffen“, sagt er. Da seien zum einen die Test- und die Impfzentren zu nennen. Viele der bisherigen Angestellten der Winsener Notfallpraxis hätten aber auch eine Hauptanstellung in einer niedergelassenen Praxis und den Bereitschaftsdienst zusätzlich gemacht. „Bei den niedergelassenen Ärzten gab es durch die Impfungen viele zusätzlichen Schichten, das wurde manchen medizinischen Fachangestellten einfach zu viel“, zeigt er Verständnis für die Situation des meist weiblichen Personals. Die Entscheidung in der Notfallpraxis aufzuhören, sei im Einzelfall auch eine Entscheidung für die eigene Familie gewesen.
KVN klagt über Fachkräftemangel
Seitdem der Personalmangel bekannt sei, arbeite man an dem Problem, versichert Christoffers. Er konstatiert aber auch einen allgemeinen Fachkräftemangel in dem Bereich, der wegen der Corona-Pandemie besonders offensichtlich werde. Wobei es besondere Schwierigkeiten mache, Personal für die wenig familienfreundlichen Arbeitszeiten in den Bereitschaftsdienst-Praxen zu finden. Trotzdem ist er überzeugt, den Engpass in Winsen bald in den Griff zu bekommen. Man sei auf einem guten Weg. Das kann Christian Lohse bestätigen, auch er sieht Licht am Ende des Tunnels. „Schon im Laufe des Septembers wird es besser werden“, prognostiziert er. Einige Neueinstellungen seien schon in trockenen Tüchern, andere würden folgen.
Christoffers und Lohde bitten die Patienten um Geduld. Solange die Bereitschaftspraxis noch nicht wieder täglich besetzt werden könne, müssten sie an diesen Tagen leider nach Buchholz oder Lüneburg ausweichen. Für ernste Notfälle verweisen sie auf die Notaufnahme des Krankenhauses. Im Übrigen würde die Fahrbereitschaft des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes – das zweite Bein der KVN-Notversorgung neben der Praxis – weiter uneingeschränkt arbeiten. Sie ist von dem personellen Problem nicht betroffen.
Von Rainer Krey