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Reinhard Gräler und Martina Fromme eröffneten die sechste Brahms-Woche in Winsen. (Foto: mt)

Furioser Start in die sechste Brahms-Woche

Winsen. Mit einem wahren Furioso zu vier Händen eröffneten St.-Marien-Kantor Reinhard Gräler und als seine Partnerin die Klaviervirtuosin Martina Fromme die sechste Winsener Brahms-Woche. Vielen Befürchtungen zum Trotz blieb der großkalibrige Steinway-Flügel in der St.-Marien-Kirche heil. Er wird auch noch gebraucht, denn die Woche wird am kommenden Mittwoch, 8. September, fortgesetzt.

Wolf-Dieter Böhme als Vorsitzender des Brahms-Freundeskreises eröffnete das Konzert launig, und schon erklangen die 16 Walzern, die im Opus 9 zusammengefasst sind. Der Komponist schrieb diese Stücke sowohl in leichter als auch in schwieriger Weise. Keine Frage, dass sich die Virtuosen an die schweren Versionen wagen. Manchmal glaubt man einen vorweggenommenen Chopin zu hören, doch dann ist da wieder munteres Donauplätschern. Nach dieser Vorspeise, die Brahms unterschiedliche Stimmungen von Dur nach Moll widerspiegeln, und einer kurzen Pause geht’s dann mit der 4. Sinfonie richtig zur Sache.

Die letzte Sinfonie in E-Moll dieses Komponisten ist zugleich seine beliebteste und meistgespielte. Der herbe und fahle Mollcharakter bleibt als Unterton dem ganzen Werk eigen, auch wenn später einige Mittelsätze in D- und F-Dur landen.

Es gibt kein Vorspiel. Erzählender Charakter im ersten Satz „allegro non troppo“, voller Ausdruck gespielt unter voller Ausreizung der Dynamik des Steinway-Flügels. Die Virtuosen sind erstklassig aufeinander eingestimmt, beide haben ihre Freude am Abenteuer Brahms.

Der zweite Satz, ein „allegro moderato“, beginnt wie eine Romanze, doch wächst schon schnell auf zu hoher Dramatik, um dann im Mittelteil stimmungsmäßig aufzuhellen. Rhythmische Sprünge, bisweilen konvergierende Melodien, erlösende Heiterkeit. Die Interpreten nehmen jede Stimmung mit.

Der dritte Satz „Allegro giocoso“, ist entgegen seiner Bezeichnung keinesfalls heiter, sondern nach dem ruhigen Eingangsthema hoch emotional erregt, fast wild, manchmal trotzig. Trotzdem sind auch hier als Kontraste leichtere und graziöse Nebengedanken herauszuhören. Die Mimik der Pianisten zeichnet diese erlösenden Momente nach.

Der vierte Satz mit der Bezeichnung Allegro energico e passionato – Più Allegro fordert den Interpreten gleich in den ersten Akkorden allerhand an Kraft ab. Sie zeichnen dieses achttaktige Thema 31 Mal nach, mal als Melodie, mal als Mittelstimme, mal als Cantus firmus. Die Stimmung steigert sich zu höchster Erregung, wird breiter, wechselt von E-Moll nach E-Dur, wächst mit der 17. Wiederholung zu leidenschaftlicher Größe auf, und am Ende steht die trotzige Reaktion auf das unerbittliche Schicksal. Akkordisch, kompromisslos, so zu sagen ein finales Machtwort des Komponisten und nochmals ein Kraftakt der Interpreten.

Um die 40 Minuten dauert die Aufführung, doch das Publikum gibt sich mit den letzten Akkorden nicht zufrieden, verlangt mit seinem Beifall eine Zugabe, und die wird gewährt.

Von Martin Teske