Nenndorf. Eine leidenschaftliche Diskussion zum Thema „Pflege“ konnte man vorgestern im Ausschuss für Soziales und Integration des Landkreises Harburg erleben. Getagt wurde im Saal des Gasthauses Böttcher in Nenndorf. Den Einstieg in die Diskussion bildete Tagesordnungspunkt 12, der Lagebericht zu den Kreisalten- und Pflegeheimen in Buchholz, Tostedt und Winsen. Leiter Michael Bott zog zunächst eine positive Bilanz aus 2020. Das Jahr habe man unter dem Strich mit einem finanziellen Plus von 63 000 Euro abgeschlossen.
Rückläufig sei allerdings die Entwicklung im Helferichheim in Tostedt. Dort könne man nicht soviele Bewohner aufnehmen, wie es eigentlich möglich sei, es fehle schlicht an Personal. 40 Prozent an Fremdpersonal dürfen eingesetzt werden, diese Grenze ist in Tostedt lange erreicht. Das bedeute einen enormen Anstieg der Personalkosten, die laut Bott um 380 000 Euro angestiegen seien.
Und dann ging es tief ins Thema. Bott berichtete, dass für die Altenheime einfach kein Personal zu bekommen sei. Er habe Werbung gemacht, den Online-Auftritt aufgefrischt und geworben mit der tariflichen Entlohnung und den Altersvorsorge-Leistungen für das Personal, doch es habe nicht eine einzige Rückmeldung gegeben.
In der Altenpflege mangelt es massiv an Personal
Als einen Grund sieht der Leiter der Alten- und Pflegeheime des Landkreises Harburg die Neuausrichtung in der Ausbildung, die mittlerweile generalistisch organisiert wird. Das heißt, dass die Auszubildenden alle Bereiche durchlaufen: die Altenpflege, die ambulante Pflege und die Krankenhaus-Pflege. Damit allerdings würden die Altenheime bei der Arbeitsplatzwahl ans Ende der Liste rücken. Die Auszubildenden wie auch die Pflegekräfte würden die Krankenhäuser und private Einrichtungen bevorzugen. „Es ist entscheidend, dass wir Personal gewinnen, denn eine gute Unterbringung der Alten zu gewährleisten, ist wichtig“, forderte Michael Bott.
Blieb die Frage, wie man das anstellt. Tobias Handtke (SPD) sprach sich für finanzielle Hilfen aus dem Kreishaushalt aus, um Personal zu finden, schränkte aber auch gleich ein, dass es für zuziehende Pflegekräfte dann auch bezahlbaren Wohnraum im Kreisgebiet geben müsse. Reiner Kaminski, Fachbereichsleiter Soziales beim Landkreis, relativierte den Notstand dahingehend, dass seiner Kenntnis nach auch private Einrichtungen Probleme hätten, Personal zu finden.
„Netzwerk Pflege“ soll für Nachschub sorgen
Zudem verwies Kaminski auf den erfolgreichen Start des EU-Projektes „Ausbildungs-Netzwerk Pflege“. Über die Betriebe hinaus organisiert und koordiniert das Netzwerk die Generalistik-Ausbildung. Dabei sind auch die Fachgebiete Pädiatrie und Psychiatrie, zudem ist ein duales Studium möglich. Die Zielgruppen seien vor allem Schüler und Quereinsteiger, so Dr. Frauke Ilse, die das Netzwerk von Winsen aus leitet.
In die dreijährige Ausbildung steigt man mit einem Brutto-Verdienst von 1100 Euro ein. Auch eine Teilzeitausbildung ist möglich. Das sei wichtig für Frauen, „denn Pflege ist weiblich“, so Ilse. Ziel des Netzwerkes ist die Fachkräftesicherung. 2020 starteten 81 Auszubildende, ein Jahr später waren es noch 63. Da allerdings sei Corona bereits ein Thema gewesen. Im ersten Jahrgang hätten rund zehn Azubis die Ausbildung abgebrochen. Teilweise aus fachlichen Gründen, zwei wegen eines Umzugs in einen anderen Landkreis. 2021 habe es einen hohen Anteil an Abiturienten gegeben. Dies erkläre sich auch dadurch, dass die Ausbildung als Sprungbrett ins Medizinstudium gesehen werde. Die anfallenden Wartesemester erleichterten das Erreichen des Numerus clausus (NC).
Roger Grewe, beratendes Ausschussmitglied für die Kommunale Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, entwarf dagegen ein düsteres Bild. Die Generalistik-Ausbildung bringe nichts für die Altenpflege. Arbeitsplätze in Krankenhäusern blieben trotzdem deutlich attraktiver. Dort würde man auch besser verdienen.
Kalkulation nicht zu halten – Heime werden schließen
Auch der finanzielle Ansatz sei unrealistisch. Um kostendeckend zu arbeiten, benötige eine Pflegeeinrichtung eine Auslastung von 98 Prozent, was wiederum mit der vorgeschriebenen Fachkräfte-Quote von 50 Prozent nicht zu erreichen sei. „Deshalb erleben wir gerade auch, dass Alten- und Pflegeheime im Landkreis schließen müssen“, so Grewe.
Der Gesetzgeber habe in der Pflege einen Flickenteppich hinterlassen, kritisierte Grewe, der auch Geschäftsführer des DRK-Kreisverbandes Harburg-Land ist. Weitere Heime würden schließen und das alles führe weiter zum schlechten Image der Pflege. Reiner Kaminski hielt entgegen, dass das Klagen allein nicht helfe. Das Netzwerk schaffe gute Verbindungen zu den Betrieben, Einrichtungen und Schulen, das sei positiv.
Der sich breit machenden Ratlosigkeit half aber auch das nicht ab. Necdet Savural (CDU) erinnerte daran, dass man zu Beginn der Pandemie die Pflegekräfte als „Alltagshelden“ gefeiert habe, es aber weiter an Wertschätzung für diese Berufe fehle. Am Ende blieben bei aller Leidenschaft der Ausschussmitglieder vor allem fromme Wünsche übrig. Michael Bott wünscht sich eine Imageverbesserung für die Pflege und fand gute Worte: „Vielleicht sollte man empfehlen, sich den Film ,Ziemlich beste Freunde‘ anzusehen. Dann weiß man, dass Pflege wertvolle Beziehungsarbeit ist.“
Von Björn Hansen