Wennerstorf. Wer in den Garten von Elises Hofcafé im Museumsbauernhof in Wennerstorf tritt, der vollzieht beinahe einen Zeitsprung. Zwischen Apfelbäumen geht es auf Knopfdruck in den Entschleunigungsmodus, und man entdeckt die Langsamkeit neu. So wie Benjamin Muschalik nur wenige Hundert Meter weiter in der brandneuen Verarbeitungsküche des Museumsbauernhofes. Gelegentlich rührt er die roten Stachelbeeren in seinem Topf mal um. „Das dauert jetzt eben einfach“, macht er klar und strahlt eine seltene Gelassenheit bei der Verarbeitung aus.
Benjamin Muschalik gehört zu den 16 Mitarbeitern des Museumsbauernhofes mit Beeinträchtigung. Dass er und seine beiden Arbeitskollegen Sven Klietz und Frank Dähn, die beide gerade Fliederbeeren für die Verarbeitung vorbereiten, jetzt in einer modernen Verarbeitungsküche stehen, hat die Arbeitsatmosphäre klar verbessert. Dafür hat der Förderverein des Freilichtmuseums am Kiekeberg – der Museumsbauernhof in Wennerstorf gehört zum Freilichtmuseum – ordentlich die Werbetrommel gerührt und letztlich 217 000 Euro gesammelt.
Hygienisches und ergonomisches Arbeiten
Wo es jetzt durch bodentiefe Fenster hell ist, blanke Edelstahlflächen und ein moderner Konvektomat stehen, sah es vor Monaten noch deutlich anders aus: Der frühere Schweinestall mit den winzigen alten Fenstern war 1999 mit überschaubaren Mitteln als Gemüseputz- und Lagerraum für Obst, Gemüse und Kräuter eingerichtet worden. In den letzten fünf Monaten ist dort eine Küche nach modernen hygienischen und ergonomischen Standards entstanden.
Dafür wurde das Gebäude neu gedämmt und mit einer Entlüftungsanlage ausgestattet. Die Wasser- und Elektroinstallationen wurden erneuert, professionelle Küchenmaschinen und Mobiliar angeschafft. Rund 158 000 Euro der Kosten warb der Förderverein beim Amt für regionale Landentwicklung ein, 57 000 Euro steuerte der Verein selbst bei.
Carina Meyer, Geschäftsführerin der Stiftung Freilichtmuseum am Kiekeberg, Museumsdirektor Stefan Zimmermann, Ortsbürgermeister Manfred Cohrs und der Vorstandsvorsitzende des Fördervereins, Heiner Schönecke, stellten die neue Küche jetzt Harald Ottmar vom Amt für regionale Landesentwicklung und Matthias Farr, Geschäftsführer der Lebenshilfe Lüneburg-Harburg, vor. Zum Komplex zählt auch ein benachbarter Neubau, der sich in schlichter Holzbauweise perfekt ins Ensemble des 400 Jahre alten Hofes integriert und ein neues Kühlhaus beherbergt. Das Kühlhaus finanziert der Förderverein selbst mit rund 100 000 Euro.
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Bei der Begehung dabei war Gärtnermeisterin Anna-Lena Woelfert. Seit 2014 ist sie Landwirtschaftliche Betriebsleiterin auf dem Museumsbauernhof. So wie die Produkte des Hofes sich entwickelt und einen großen Schritt hin zu modernem bewussten Genuss macht haben, ist man mit der Küche nun auch einen weiteren Schritt in Richtung Zukunft gegangen. Arbeitsabläufe, die zuvor umständlich waren, gehen jetzt besser von der Hand.
„Wir produzieren hier alles, was in Gläser zu kriegen ist“, sagt die Gärtnerin. Die süß-saure eingemachte Rote Bete gehört ebenso zu den Verkaufsschlagern wie der würzige Tomatenketchup und der eingemachte sortenreine Grünkohl – alles in Bioland-Qualität. „Wir müssen immer schauen, dass wir Arbeit finden, die wir im Team gemeinsam auch erledigen können und die trotzdem abwechslungsreich ist. Deswegen ist für uns auch das Kühlhaus wichtig, damit wir jahreszeitenunabhängig auch im Winter tiefgefrorene Beeren verarbeiten können“, erklärt die Gärtnerin. Aber auch neue Rezepte werden ausprobiert – wie der Apfel-Kartoffel-Brotaufstrich. Beim gemeinsamen Frühstück probieren sich die Mitarbeiter dann durch die Neuheiten und bewerten alles, ehe es in die Produktion geht. „Wir sind hier quasi Produkterzeuger, -entwickler und -tester in einem.“
Von Kathrin Röhlke
[box type=“info“ align=““ class=““ width=““]Wennerstorf ist Vorbild
Gelebte Inklusion
Seit 1997 ist der Museumsbauernhof Wennerstorf zu einem Ort geworden, der museale Arbeit, einen landwirtschaftlichen Betrieb und die Integration von Menschen mit Behinderung einzigartig verbindet. Inzwischen genießt das Freilichtmuseum mit dieser Kooperation mit der Lebenshilfe Vorbildfunktion. „Wir sind mit dieser Zusammenarbeit zu einer Blaupause für viele andere Einrichtungen geworden“, bestätigt Museumsdirektor Stefan Zimmermann. Das Ziel, insbesondere auch erwachsenen Menschen mit Beeinträchtigung eine Perspektive bieten zu können, sei geglückt. „Hier darf man älter werden!“ Insgesamt 16 Mitarbeit mit Behinderungen kümmern sich um das Obst und Gemüse sowie die Schafe und Hühner auf dem Hof. Einige leben in der dortigen Wohngruppe, andere kommen jeden Tag von der Lebenshilfeeinrichtung in Tostedt nach Wennerstorf. Im Dorfleben sind die Mitarbeiter des Museumsbauernhofs voll integriert. „Man kennt sich hier, schnackt am Gartenzaun“, bestätigt Bürgermeister Manfred Cohrs. Berührungsängste sind Fehlanzeige. Und diese Selbstverständlichkeit sorgt dafür, dass in Wennerstorf und auch im Freilichtmuseum Inklusion sprichwörtlich gelebt wird. Ein Aspekt, der die Einrichtung für die Lebenshilfe noch interessanter macht, sodass über eine Erweiterung der Kooperation mit dem Museum locker nachgedacht wird.[/box]