Amtsgericht kurios: Angeklagter hat Glück mit dem Staatsanwalt. Der Führerschein ist zurück
Winsen. Der Start war denkbar unglücklich, trotzdem verließ jetzt ein 57 Jahre alter Steller das Amtsgericht Winsen als „fast glücklicher Mann“. Für beide Gemütszustände hatte der Staatsanwalt gesorgt.
Aber der Reihe nach: Der Angeklagte hat in Stelle an seiner Wohnadresse beim Einparken versehentlich ein anderes Fahrzeug beschädigt. Vorgeworfen wurde ihm das unerlaubte Entfernen vom Unfallort. Und die Anklage sah den Mann als ungeeignet für das Führen von Fahrzeugen.
Das ist nun schlecht für jemanden, der als Disponent einer Spedition tagtäglich auf den Führerschein angewiesen ist. Beim Verlesen der Anklage lachte der 57-Jährige noch kurz auf, was ihm gleich eine Rüge des Staatsanwaltes einbrachte. „Wenn Sie hier auf irgendein Wohlwollen hoffen, sollten Sie sich benehmen“, konnte der Ankläger seinen Ärger nicht verbergen. Soweit der schlechte Start.
Der Angeklagte schilderte seine Sicht der Dinge. Das fremde Fahrzeug, das er angefahren hatte, stand in einem Wendehammer, da dürfe man nicht parken. Gut, das brachte jetzt nicht viel. Nachdem der Schaden angerichtet war, habe er in seiner Nachbarschaft herumgefragt, ob jemand den Halter des Fahrzeugs kenne, jedoch ergebnislos. Also habe er einen Zettel mit seinen Daten geschrieben, in einen Gefrierbeutel getan, es war Anfang Januar, und diesen an den Scheibenwischer geklemmt.
Unerwartet kassiert die Polizei den Führerschein
Das war erfolglos. Der Gefrierbeutel hing irgendwann später in einer Tanne. Wenige Tage später jedoch habe sich der Halter gemeldet, dann die Rechnung über die Reparatur geschickt, die der Steller dann auch sofort beglich. Thema erledigt? Nein, denn das unerlaubte Entfernen vom Unfallort, auch wenn es in diesem Fall nur wenige Meter waren, hatte Bestand. Und es ist strafbar, wenn man sich nicht mit dem Geschädigten oder der Polizei verständigt hat.
Dass der Angeklagte noch nicht in den Konflikt mit dem Gesetz geraten war, mag erklären, warum er aus allen Wolken fiel, als mehr als drei Monate später die Polizei vor der Tür stand und den Führerschein einkassierte. Er hatte sich nach dem Unfall bei der Polizei gemeldet, das Amtsdeutsch nennt das die „Beschuldigtenanhörung“. Dass daraus ein Strafbefehl resultieren würde, ahnte der Steller nicht.
Ein Schlamassel, aus dem der Angeklagte durch den kreativen Staatsanwalt bestmöglich befreit wurde. „Wir hätten natürlich gerne so schnell wie möglich den Führerschein zurück“, gab der Verteidiger zu. Zudem sei man bei etwa 1700 Reparaturkosten „nah am Bagatellschaden“. Acht Monate sollte die Führerscheinsperre gelten.
Wie kommt der Mann an seinen Führerschein?
Man war allgemein geneigt, dem Speditionsangestellten seinen Führerschein wieder zu beschaffen. Fünf der acht Monate Sperre seien ja auch schon um. Problem: Eine Neubeantragung des Führerscheins kann die Verwaltung momentan rund drei Monate beschäftigen. Die Lösung hatte wieder der Staatsanwalt: das deklaratorische Fahrverbot.
Das hatte er nicht erfunden. Es ist eine juristische Möglichkeit, um von einem Fahrverbot absehen zu können, wenn der Entzug des Führerscheins und das Fahrverbot, etwa durch die Verfahrensdauer, halbwegs gleich lang sind. Das Deklaratorische ist dann so etwas wie eine Umetikettierung. In diesem Fall ersetzt der Entzug des Führerscheins das Fahrverbot, das damit eben nur erklärt, juristisch aber nicht umgesetzt worden ist.
Passenderweise forderte der Staatsanwalt das deklaratorische Fahrverbot für fünf Monate; und siehe da, es war bereits abgelaufen. Salopp erklärte der Ankläger dem Angeklagten das große Plus dieses Verfahrens: „Sie bekommen Ihren Lappen hier einfach über den Tisch gereicht.“ Ohne Denkzettel ging es jedoch nicht. 1800 Euro muss der Steller als Geldstrafe zahlen. Trotzdem: Selten wird ein Schuldspruch einen Angeklagten so erfreut haben. Der Führerschein wurde von der Richterin höchstpersönlich aus der Gerichtsakte ausgehändigt.
Von Björn Hansen
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