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Die Produktion läuft: In der Backstube in Scharmbeck sind rund 20 Mitarbeiter dabei, die Berliner zu backen.
Die Produktion läuft: In der Backstube in Scharmbeck sind rund 20 Mitarbeiter dabei, die Berliner zu backen. Rund 180 Berliner kommen alle sieben Minuten aus den Fritteusen. Chef Frank Soetbier beliefert damit 13 Filial-Standorte. (Foto: Soetebier)

Die Nacht der 30.000 Berliner

In der Dorfbäckerei Soetebier gibt es frische Berliner zu Silvester. Hinter den Bäckern liegt die härtestes Nacht des Jahres.

Scharmbeck. Die letzte Nacht war hart für Frank Soetebier, aber nicht nur für ihn. Der Konditor und Bäckermeister hat sich mit seinem mehr als 20-köpfigen Team in der Backstube in Scharmbeck mit aller Kraft in die Berliner-Produktion geworfen. Heute an Silvester soll das beliebte Festtagsgebäck so frisch wie es nur geht in die Auslage der insgesamt 13 Standorte der 1901 gegründeten Dorfbäckerei geliefert werden.

„Das ist die einzige Nacht im Jahr, die ich in der Backstube selbst noch komplett dabei bin“, berichtet Soetebier, der seit 1993 das Unternehmen führt. „Einer muss den Überblick behalten“, damit in der Backstube eine anspruchsvolle 16-Stunden-Schicht erfolgreiche zuende gehen kann. Das Ergebnis ist monumental: Rund 30.000 Berliner gehen heute in den Verkauf.

Alles für die Nacht der 30.000 Berliner

Der Vorlauf dafür hat vergangenen Montag begonnen. Da wurden schon einmal zusätzliche Fritteusen in der Backstube aufgebaut. Und die Vorräte werden geprüft: Erdnussfett und Sonnenblumenöl braucht es, dazu Teig, Zucker und Marmelade und mehr für die Füllungen der Berliner.

Am Donnerstagabend begann es dann in der Backstube in Scharmbeck zu brummen. Der Teig muss gebacken werden, die Glasur muss auf die Berliner und alles praktisch im Akkord, damit auch genügend Zeit für die feineren Arbeiten am Gebäck bleibt. Die Rechnung geht so: In den drei Fritteusen können jeweils rund 60 Berliner-Rohlinge gebacken werden, was etwa sechs bis sieben Minuten dauert. Macht im Ergebnis 180 Berliner in sieben Minuten. Hat man diesen Vorgang etwa 170 Mal wiederholt, hat man die 30 000 Berliner für Silvester zusammen. Nicht zu vergessen: Auch Brot und Brötchen werden an Silvester noch verkauft.

Silvester muss auch die Familie mit ran

Jetzt warten noch die Auslieferung und der Verkauf. „Da muss dann auch die Familie ganz mit ran, damit das zu schaffen ist“, sagt Frank Soetebier. Die mittlerweile vierte und fünfte Generation ist in der Dorfbäckerei engagiert. Wobei die Dorfbäckerei mittlerweile ein modernes mittelständisches Unternehmen mit rund 200 Angestellten ist, aber eben auch immer noch ein Familienbetrieb.

Neun Sorten Berliner, Zucker und Guss jeweils, werden angeboten. Die Klassiker mit Marmelade sind dabei, aber auch Füllungen mit Pudding, Nougat und Eierlikör gehen gut. Für die Kinder gibt es den Berliner mit Marshmallows. „Der Renner aber ist Marzipan“, weiß Soetebier.

Der Wettlauf um die frischen Berliner

Vorbestellungen von Berlinern werden grundsätzlich nicht mehr angenommen. Das binde zuviele Kräfte aus dem Verkauf, vor allem aber leide darunter die Frische. „Ich will zu Silvester so lange wie möglich die Berliner frisch backen. Das ist mein Wettlauf“, so der Bäckermeister.

Frank Soetebier freut sich, dass die Berliner zu Silvester nach wie vor ein Hit sind. Bemerkenswert ist die Abdeckung im Osten der Stadt. In der Filiale in Borstel gehen heute wieder rund 4000 Berliner über die Theke. Nimmt man an, dass die alle nach Borstel, Sangenstedt und Rottorf wandern, kommt man auf eine fast hundertprozentige Haushalts-Abdeckung. Rund 4200 Menschen leben in den drei Winsener Ortsteilen.

„Keine Frage, heute ist der umsatzstärkste Tag des Jahres bei uns, aber eben auch der kostenträchtigste Tag“, sagt Frank Soetebier. Für ihn ist es ein gelungener Jahresabschluss, gerade im zweiten Corona-Jahr. Mit den insgesamt mehr als 900 Café-Plätzen in den Filialen war kaum Umsatz zu erzielen. Die lange Nacht in der Backstube macht trotz Anstrengung und Stress eben auch Spaß. Und mit einer Mütze Schlaf heute Nachmittag kann dann auch die Bäcker-Familie Silvester feiern.

Von Björn Hansen

Hintergrund

Der Berliner als Silvesterbrauch

Warum der Filmklassiker „Die Feuerzangenbowle“ an Weihnachten und nicht an Silvester ausgestrahlt wurde, muss man nicht verstehen. Eigentlich ist er ein Brauch zum Jahreswechsel, quasi wie der Berliner Pfannkuchen, heute einfach nur Berliner genannt. Ganz nach Lehrer Bömmel „stelle ma uns mal janz dumm“ und fest, dass der Berliner auch in Berlin vorkommt.

Das Gebäck an sich aber hat schon gut 500 Jahre auf dem Buckel, wenn man von in Schmalz gebackenen Hefeballen spricht. Eine norddeutsche Tradition soll es sein, eine Art Rezept stand schon 1715 im „Frauenzimmer-Lexicon“. Kultiviert als Berliner Pfannkuchen wurde das Gebäck ab 1850 im Reich bekannt und beliebt.

Auch hübsch: Mitte des 18. Jahrhunderts erfand ein Berliner Zuckerbäcker, der gerne in Friedrichs ruhmreiche Armee eintreten wollte, aber für untauglich befunden wurde, den lokalen Pfannkuchen. Als Dank dafür, dass er als Feldbäcker doch zum Militär durfte, buk er die kleinen Kanonenkugeln aus Teig über Feuer in heißem Fett in Pfannen.

Dem Silvesterbrauch hängt wohl etwas Religiöses an. Zwischen Weihnachten und Karneval soll man ja fasten, und wer zwei, drei Berliner isst, der ist lange satt.

Profaner ist der Berliner als Scherzkeks, wenn an Silvester in einem der leckeren Teile auf dem Tablett die Füllung aus scharfem Senf besteht, anstatt aus süßer Marmelade.