You are currently viewing Was macht die Pandemie mit der Jugend?
Die Jugendzentren des Landkreises mussten während der Pandemie zeitweise schließen. Sozialarbeiter wie Lea Tewes und Andreas Brammer aus Salzhausen versuchten trotz der Barrieren Kontakt zu Kindern und Jugendlichen zu halten. (Foto: dre)

Was macht die Pandemie mit der Jugend?

Anzeige

In Zeiten der Pandemie fallen die Kinder und Jugendlichen im Landkreis immer öfter hinten runter. Was das konkret für die Betroffenen bedeutet, berichten die Sozialarbeiter aus den verschiedenen Jugendzentren.

Landkreis. Kinder und Jugendliche erfahren, erleben und lernen. Sie nehmen unheimlich schnell neue Dinge auf und erweitern ihre Fähigkeiten, die sie durch das Leben führen sollen. Sie bilden ihren Charakter aus, eignen sich im Umgang miteinander Sozialverhalten an und führen irgendwann die ersten Beziehungen. Neue Freunde werden gefunden und bestehende Freundschaften vertieft. So sollte es zumindest sein. Für all das sind jedoch Kontakte nötig – und zwar echte. Für all das gab in den vergangenen Jahren zu wenige Gelegenheiten. Die typischen Treffpunkte wie Schulen, Kitas und andere Treffpunkte waren lange geschlossen und sind noch immer von einschneidenden Maßnahmen betroffen. Was macht das mit der Jugend? Der WA hat in den Jugendzentren des Landkreises nachgefragt.

Sozialverhalten hat sich verändert

Ralf Macke, Leiter der Stadtjugendpflege in Winsen, berichtet gegenüber dem WA: „Wir haben gemerkt, dass Jugendliche es zum großen Teil nicht mehr gewohnt sind, Konflikte auszutragen oder sie auszuhalten. Es gab während der Pandemie Schulklassen, die neu gebildet wurden und wo die Klassenkameraden sich erst nach mehreren Monaten kennengelernt haben.“ Die Schulen konnten auch selbst nichts mehr machen, da Maßnahmen zur Förderung des sozialen Miteinanders gar nicht mehr stattfinden konnten. „Wir als Jugendzentrum wurden vermehrt gebucht, um in den Schulen Sozialtrainings durchzuführen“, erklärt der Winsener Sozialarbeiter.

Ähnliches konnte auch Bärbel Hertel beobachten, die den Jugendtreff Elbmarsch leitet. „Wir haben festgestellt, dass einige Jugendliche eine soziale Phobie entwickelt haben, andere haben Probleme damit, die Meinung des Gegenübers zu akzeptieren“, so Bärbel Hertel.

Drogen- und Alkoholkonsum haben zugenommen

Andreas Brammer vom Juz Salzhausen berichtet sogar von vereinzeltem Auftreten verschwörungstheoretischer, esoterischer oder rechtsextremer Ansichten. „Der Großteil verhält sich aber solidarisch und hinterfragt die zurzeit stattfindenden Spaziergänge sehr kritisch“, sagt der Betreuer. Das bestätigt auch die Elbmarscherin Hertel: „Unsere Kinder und Jugendlichen sind da sehr vernünftig, viele haben auch schon ihre Impfung bekommen.“

Ein Problem sei allerdings, so Hertel, dass der Drogen- und Alkoholkonsum zugenommen habe. „Da ist eine Frustration entstanden. Niemanden zum Sprechen zu haben, weil im Juz immer die Leute waren, die einen verstehen.“ Deshalb sei es oberste Priorität, die Einrichtung offen zu halten, die jedoch nur absolut „clean“ betreten werden darf – ein Ansporn für die Jugendlichen, die Finger von Alkohol und anderen Substanzen zu lassen.

Keine Alternativen in Freizeitgestaltung

Auch in Jesteburg habe dieser Konsum zugenommen, informiert Anne Dietrich vom Verein Jugend aktiv. „Wir versuchen im Beziehungskontakt auf die Kinder- und Jugendlichen in Gesprächen positiv einzuwirken. Leider konnten wir pandemiebedingt weniger Angebote und Projekte anbieten und durchführen, obwohl dies gerade in dieser Zeit noch mehr als sonst nötig gewesen wäre.“ Es hätte trotz der Vermeidung von sozialen Kontakten Alternativen zur Freizeitgestaltung geben müssen, formuliert Dietrich eine Kritik in Richtung Politik.

Auch die Sozialarbeiter in Salzhausen möchten einer negativen Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen entgegenwirken. „Unsere Lösungen sind Gespräche und die Zuhilfenahme von anderen Expertinnen und Experten. Dazu kommt, dass wir Beziehungen immer aufrechterhalten und versuchen niemanden abzustempeln, der Diskurs muss immer möglich sein“, erklärt Andreas Brammer.

Jugendliche von Maßnahmen genervt

Doch was nervt die Betroffenen aktuell am meisten? „Es nervt, ständig Maske tragen, Abstand halten und Hände desinfizieren zu müssen und dass man sich nicht mehr mit seinen Freunden treffen konnte“, meint die 15-jährige Jette aus Jesteburg. Dort kommt auch der 16-jährige Jason her, der sagt: „Es nervt, dass ich nicht mehr überall reinkomme, zum Beispiel ins Kino oder Schwimmbad, und das mit dem Testen, weil man nichts mehr spontan machen kann.“ Ein Jugendlicher aus der Elbmarsch fasst seinen Eindruck wie folgt zusammen: „Als das losging war ich 15, jetzt werde ich bald 18. Was soll ich später mal erzählen? Ich habe nichts erlebt!“

Wenn Erwachsene sich um die Kinder sorgen, dann geht es zumeist um die Zukunft. Die Kinder indes haben Angst, dass sie später keine Vergangenheit haben werden.

Von Andreas Urhahn