Die Gleichstellungsbeauftragte Andrea Schrag spricht im Interview über den Weltfrauentag.
Winsen. Der Weltfrauentag wurde zum ersten Mal am 19. März 1911 in fünf Ländern begangen, darunter auch Deutschland. Die damalige Hauptforderung, das Wahlrecht für Frauen, ist zumindest in der westlichen Welt längst erreicht. Doch das macht den heutigen Tag nicht weniger aktuell. Noch immer gibt es zahlreiche Baustellen auf dem Weg zur völligen Gleichstellung von Männern und Frauen. Der WA hat aus diesem Anlass mit Andrea Schrag gesprochen. Im Interview, zu dem sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Real men are feminists“ (zu Deutsch: Echte Männer sind Feministen) trägt, äußert sich die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises zu Bezahlung, Altersarmut, Gewalt gegen Frauen und das Streitthema „Gendern“.
Wir begehen den 111. Weltfrauentag mit den Motto „Der Wandel ist weiblich“. Wie könnte der aussehen?
Andrea Schrag: Ja, der Wandel ist weiblich. Es geht darum, dass die Frauen gesehen werden, wenn es um die Bezahlung geht und die Care-Arbeit, häusliche Gewalt, Frauen in Führungspositionen. Das sind alles Themen, die den Wandel zwingend erforderlich machen.
Sie haben mit der Bezahlung schon den sogenannten Gender Pay Gap angesprochen. Zusätzlich die unbezahlte Care-Arbeit, was Erziehung und Haushalt betrifft. Während der Pandemie waren Frauen im Homeoffice überdurchschnittlich einer Doppelbelastung ausgesetzt. Liegt das an veralteten Rollenbildern?
Wir wissen, dass gerade Frauen diese Belastung in der Pandemie erfahren haben und auch auf dem Arbeitsmarkt dementsprechend benachteiligt sind. Was gemacht werden muss, ist, dass Männer die Care-Arbeit auch als solche werten. Was ist die Wertigkeit in unserer Gesellschaft für diese Aufgaben, für Pflege? Es geht natürlich um gerechte Verteilung. Das System ist so aufgebaut, dass Männer in Vollzeit arbeiten und Frauen in Teilzeit. Es sollte aber so aufgebaut werden, dass viel mehr Männer in Teilzeit gehen können. Wir wissen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, dass viele Männer das auch wollen.
Im Zusammenhang mit der ungerechten Bezahlung und der häufigen Teilzeitbeschäftigung sind viele Frauen auch von Altersarmut bedroht. Wie kann man dagegen angehen?
Wenn Frauen in Teilzeit arbeiten und mit der ganzen Care-Arbeit beschäftigt sind, und da geht es nicht nur um Kinder, sondern häufig auch um die Pflege der Eltern oder Schwiegereltern, dann zahlen sie nichts in die Rentenkasse ein und sind die Verliererinnen. Die Altersarmut ist vorprogrammiert. Man könnte gucken, wie die Paare arbeiten und die Rente gerechter verteilen.
Die häusliche Gewalt haben Sie als weiteres Thema genannt. Statistisch wird jede dritte Frau in ihrem Leben Opfer von Gewalt. Wo muss hier der Hebel angesetzt werden, um das zu begrenzen?
Ich finde, wir haben schon richtig viel getan und lange geguckt, dass für die betroffenen Frauen etwas passieren muss. Beratungsstellen und Frauenhäuser wurden eingerichtet, um die Opfer aufzufangen. Doch wir müssen auch mit den Tätern arbeiten, um das Problem anzugehen. Sie dazu bringen, andere Handlungsmuster an den Tag zu legen als die der Gewalt. Und mit den Frauen muss auch weiter gearbeitet werden, dass sie nicht wieder in solche Beziehungen reinrutschen.
Was muss insgesamt verändert werden, um eine Gleichberechtigung tatsächlich zu erreichen?
Grundsätzlich brauchen wir ein gesellschaftliches und politisches Umdenken. Wie müssen weggehen von Stereotypen, dass Kindern von klein auf Rollen zugeteilt werden. Mädchen bekommen Puppen zum Spielen, sollen die Braven sein. Da ist doch klar, in was für Berufe die später gehen. Da geht es auch um die Wertigkeit der Arbeit. Warum verdient man in der IT viel mehr Geld als beispielsweise in der Pflege? Wir müssen mit Klischees aufräumen und für eine gerechte Bezahlung sorgen.
Auf Ihrem T-Shirt steht „Real men are feminists“. Wen wollen Sie damit erreichen und was damit sagen?
„Real men“ akzeptieren ihre Frauen und die Frauen in der Gesellschaft. „Real men“ teilen sich die Care-Arbeit und überlassen nicht die gesamte Last ihren Frauen. Wenn es da eine gerechte Verteilung gibt, dann sind das „Real men“ für mich. Auch die Männer, die am Verhandlungstisch sitzen, wenn die Gehälter für die Pflegeberufe verhandelt werden.
Zum Abschluss noch ein gesellschaftliches Streitthema. Wie halten Sie es mit dem Gendern? Kann sich dadurch etwas ändern?
Sprache schafft Wirklichkeit und ist auch immer dem gesellschaftlichen Wandel unterzogen. Wie lange hat es gedauert, bis Frauen sichtbar geworden sind in der Sprache und nicht mehr hinter einer Fußnote verschwunden sind? Aus Gründen der Lesbarkeit sind Frauen mit der männlichen Form „mitgemeint“ und „mitgedacht“ worden. Zum Teil ist es heute noch so. Jetzt geht der gesellschaftliche Wandel weiter und wir wissen mittlerweile, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Ich warte da eigentlich auf Vorgaben aus der Bundesebene. Bis jetzt steht noch immer im Grundgesetz Artikel 3, Absatz 2: Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
Das Interview führte Andreas Urhahn
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