Anwalt kennt die Akte nicht: Betrugsprozess am Winsener Amtsgericht wird zur unendlichen Geschichte.
Winsen. Wie lange ein Fax unterwegs sein kann, zeigt sich gestern im Amtsgericht Winsen. Nur, es liegt nicht an der veralteten Technik, sondern an der internen Hauspost, die das Schriftstück eine Woche lang nicht bewegt hatte. Diese und weitere Unterbrechungen prägen die Prozessfortsetzung gegen einen 48-jährigen Hamburger Versicherungsfachwirt, dem Betrug vorgeworfen wird. Er soll Möbel über sogenannte Mantelgesellschaften geleast haben, ohne diese zu bezahlen. Am Ende steht mal wieder kein Urteil, dafür aber gleich zwei Folgetermine. Doch zunächst wird es laut im Saal 214.
Der Angeklagte, gegen dessen Komplize das Verfahren gegen eine Zahlung von 9000 Euro an die Landeskasse eingestellt wurde, überrascht Richterin und Staatsanwalt mit einem neuen Anwalt, der sich selbst als „erfahrenen Strafverteidiger“ ausweist und sogleich die Vollmacht an die Vorsitzende überreicht. Er begründet seine Anwesenheit mit einer Verunsicherung, die durch die Einstellung des Verfahrens gegen den Seevetaler Tischler verursacht worden sei. „Das ist ja schon eine Ungleichbehandlung, dass das gegen meinen Mandanten nicht in Betracht bezogen wurde, er ist auch unbestraft“, kritisiert der Advokat.
Zeuge erscheint nicht mehr
Weitere Verzögerungen entstehen durch das Nichterscheinen des geladenen Zeugen und den Umstand, dass der neue Verteidiger die Prozessakte noch nicht kennt. Die Zeit, die das Gericht dem Zeugen noch zum Auftauchen einräumt, möchte der Jurist zum kurzen Studium der Unterlagen nutzen, was ihm auch gewährt wird. Bekannt wird jetzt außerdem, dass gegen den geladenen Zeugen parallel in Hamburg prozessiert wird. Teile der Akte aus der Hansestadt seien angefordert, aber noch nicht eingetroffen. Ein Anruf bringt Klarheit: Das Fax liegt seit einer Woche vor, wurde aber seitdem nicht mehr angefasst. Wenige Augenblicke später befindet sich der Aktenauszug dann aber in den Händen der Richterin. Auch das passt dem erfahrenen Strafverteidiger nicht so richtig: „Da muss schon die ganze Akte beigezogen werden und nicht nur die Teile, die uns hier negativ ausgelegt werden können.“
Fragwürdiger Kaufbeleg
Das sieht die Richterin zwar ähnlich, besteht jetzt aber erstmal auf die Erbringung eines Käuferbelegs für angeblich verkaufte Möbel durch den Angeklagten. Denn sollten diese Möbel gar nicht existiert haben, stünde der Verdacht des gewerblichen Betrugs im Raum, der ungleich härter bestraft würde (WA berichtete). Der Anwalt überreicht daraufhin ein Papier. Die Vorsitzende fragt den Angeklagten: „Wer hat das denn unterschrieben?“ Für seinen Mandanten antwortet die Verteidigung: „Wir möchten dazu keine weiteren Angaben machen.“ Der Staatsanwalt prustet los: „Das brauch ich mir dann ja gar nicht angucken!“ Das ist zu viel für den erfahrenen Strafverteidiger. Völlig entgleist schnauzt er den Staatsanwalt an: „Das ist eine Unverschämtheit! Sie haben mich nicht auszulachen, wenn ich meine Ausführungen tätige.“ Der Geräuschpegel zwischen den beiden steigt weiter – bis die Richterin zur Ordnung ruft.
Der Staatsanwalt führt an, dass es die Zeugen nicht brauche. Die Sache sei für ihn eindeutig. Es habe weder Räume zum Einrichten, noch ein Lager für Möbel gegeben. Zudem seien rund 130 000 Euro an die GmbH des Angeklagten und an ihn selbst geflossen. Die Richterin hingegen will jeden noch so kleinen Zweifel an der Schuld des Hamburgers ausräumen und setzt zwei neue Verhandlungstermine an. Einen zur Vernehmung der Zeugen sowie einen weiteren zur Urteilsverkündung und das Plädoyer des Staatsanwalts. Das, so scheint es, hat er heute schon dabei gehabt.
Von Andreas Urhahn
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