Amtsgericht verurteilt Betrunkenen nach Attacken auf dem Winsener Bahnhof zu einer Geldstrafe.
Winsen. Es ist der Albtraum aller Zugreisenden: Auf dem Bahnhof werden sie am helllichten Tag von zwei Betrunkenen angegriffen, bedroht und beschimpft. Einer damals 18-jährigen schwangeren Frau und ihrem schwerkranken Vater ist das am 16. Mai 2021 in Winsen an Gleis 1 passiert. Einer der Täter musste sich am Donnerstag vor dem Amtsgericht verantworten. Und der 36-jährige, 14-fach vorbestraft und zur Tat unter Bewährung, hat viel Glück: Er kommt mit einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je zehn Euro davon.
Nazi-Parolen und Hitler-Gruß
Er sei volltrunken gewesen und könne sich nicht mehr an allzu viel erinnern, sagt der Angeklagte kleinlaut in Saal 214 des Amtsgerichtes. Eines seiner Opfer weiß dagegen noch sehr detailliert von der Attacke vor einem Jahr, die sie und ihren Vater in große Angst versetzte. „Die waren zu zweit, haben Wartende angepöbelt und wollten Stress machen“, schildert die heute 19-Jährige die Vorfälle. Mirco G. schnorrte ihren Vater um eine Zigarrette an. Als der die Frage höflich verneint, brechen alle Dämme: Der Betrunkene beschimpft die beiden übelst sexistisch, die Frau sei eine Hure, die er erst vergewaltigen und dann zum Anschaffen auf die Reeperbahn schicken wolle. Dann holt der 36-Jährige eine Wodkaflasche heraus und droht damit zuzuschlagen. Dazu brüllt er Nazi-Parolen und zeigt den Hitler-Gruß.
Für die beiden Opfer ist es eine bedrohliche Situation: Die junge Frau ist im vierten Monat schwanger, ihr Vater hat gerade einen Schlaganfall sowie einen Herzinfarkt überstanden. Die Tochter schreit den Angreifer mutig an, greift zum Handy und ruft die Polizei. Die beiden Betrunkenen verziehen sich auf Bahnsteig 3, dort legen sie sich dann mit den wenig später eintreffenden Polizeibeamten an. Die Bodycam eines Beamten zeichnet die Begegnung auf, die Beamten werden beschimpft und beleidigt.
Drei Flaschen Wodka und zwölf Bier täglich
Dies sind nicht die einzigen Vorwürfe, die die Staatsanwältin in der Anklage verliest. Am selben Tag soll Mirco G. schon dem elfjährigen Sohn seiner früheren Verlobten eine Sprachnachricht geschickt und ihn mit dem Tod bedroht haben.
Auf der Anklagebank sitzt ein Mann mit aufgedunsenem Gesicht, dem das Leben völlig entglitten ist. Schon immer habe er viel getrunken, antwortet er auf die Frage von Richter Dr. Meik Lange. In den ersten Jahren nach der Schule jobbt er noch, doch als eine Beziehung in die Brüche geht, brechen alle Dämme. Der Konsum von drei Flaschen Wodka und zwölf halben Litern Bier täglich sind längst keine Seltenheit. Immer wieder kommt Mirco G. mit dem Gesetz in Konflikt, wird unter anderem wegen räuberischer Erpressung verurteilt und sitzt mehrfach im Gefängnis.
Auch eine Haftstrafe war durchaus möglich
„Die Rückfallgeschwindigkeit war enorm“, sagt die Staatsanwältin, die von einem „Bewährungsversager“ spricht. Sie gehe davon aus, dass der 36-Jährige zuletzt „einen Dauerpegel von etwa zwei Promille hatte“.
Der Angeklagte verfolgt den Prozess mit gesenktem Kopf, im Gerichtssaal sitzt auch seine Betreuerin. Gerade hat er wieder einen Entzug hinter sich, ist derzeit in der Psychiatrischen Klinik Lüneburg untergebracht und hat die Hoffnung, anschließend in einer Wohngruppe leben zu können. Bei jedem Opfer entschuldigt er sich in leisen Worten, „ich sehe, dass sie sich schämen und kaufen ihnen das ab“, erklärt die Anklagevertreterin.
Der Richter folgt schließlich in seinem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft und verhängt eine Geldstrafe in Höhe von insgesamt 1000 Euro gegen den hoch verschuldeten Hartz-IV-Empfänger. „Als sie diese Taten begangen hatten, standen sie unter Bewährung“, redet Lange dem Verurteilten ins Gewissen. Auch eine Gefängnisstrafe sei daher durchaus möglich gewesen. „Denn man kann sich nicht volllaufen lassen und dann Kindern mit dem Tod drohen“, so der Richter.
Von Thomas Mitzlaff
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