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Dagmar Luhmann beklagt wie viele Vereine fehlende Übungsleiter. Dabei stehen Kinder Turngruppen förmlich Schlange. (Foto: rin)

TSV Winsen fehlt Personal für Nachwuchsförderung

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Gut 150 Kinder sehen auf einer Warteliste für ganz normales Eltern-/Kind-Turnen. Aber dem TSV Winsen fehlen Trainer, um den Nachwuchs zu fördern. Kein Einzelfall in Niedersachsen, wie der Niedersächsische Turner-Bund (NTB) bestätigt.

Winsen. Der TSV Winsen arbeitet seit einem Jahr mit einem neuen Online-Buchungssystem für Kurse in der Turnsparte. Und das deckte jetzt ein massives Defizit auf: Dem Verein fehlen viel zu viele Übungsleiter!

„Wir haben das vorher gar nicht richtig auf der Pfanne gehabt“, gesteht Vorsitzende Dagmar Luhmann. Erst über das Buchungssystem kriegte der Vorstand mit, wie große die Nachfrage im Kinderbereich ist. Fakt sei: „Momentan haben wir rund 150 Kinder auf der Warteliste fürs Eltern-/Kind-Turnen, die wir nicht in Turngruppen unterbringen können. Dabei hätten wir sogar Hallenzeiten dafür.“

Kaum Übungsleiter durch Corona verloren

Ja, auch der TSV Winsen vermeldet einige Übungsleiter, die mit der Coronapandemie ihr Engagement im Sport beendet haben. „Da spielten natürlich Ängste bei den Übungsleitern eine Rolle; anderen war das Einhalten und Überprüfen der Regeln einfach zu viel“, schildert Dagmar Luhmann. „Aber insgesamt haben wir durch Corona nur überschaubar wenige Übungsleiter verloren.“

Woher also neue Trainer nehmen und nicht stehlen? Es gibt zwar Übungsleiterbörsen, aber auch dort ist die Nachfrage immens, das Angebot gering. Es klafft offenbar eine große Lücke.

Der TSV Winsen war längst nicht untätig. „Wir haben Aushänge in Kindertagesstätten gemacht und auf unserer Homepage geworben“, berichtet Dagmar Luhmann. Eine einzige zusätzliche Kraft konnte so gewonnen werden. „Wir könnten leicht noch drei weitere Gruppen aufmachen, aber dafür fehlt uns das Personal.“ Und nur über Elternhelfern könne man sich auf Dauer auch nicht behelfen.

Junge Leute für eine Lizenz zu begeistern, ist schwer

Wo also bleibt der Übungsleiter-Nachwuchs? Junge Leute, die beispielsweise ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Verein absolvierten, längerfristig an den TSV zu binden, ist bislang nicht gelungen. Häufig schließt sich für die FSJler ein Studium oder ein Auslandsjahr an. „Es ist schwer, gerade junge Erwachsene dafür zu begeistern, eine Übungsleiterlizenz zu machen“, gesteht Dagmar Luhmann. 48 Übungsleiter und Helfer führt der TSV Winsen allein in seiner Turnabteilung. Die Altersstruktur sei gemischt. Aber viele Ältere engagieren sich bevorzugt im Seniorenprogramm.

Auch die Geschäftsstelle des Kreissportbundes (KSB) Harburg-Land erreichen immer wieder Anfragen nach verfügbaren Übungsleitern, die speziell im Eltern-/Kind-Bereich oder im Kinderturnen, bei dem die Grundfertigkeiten geschult werden, tätig werden könnten. An Ausbildungsmöglichkeiten mangelt es nicht.

Der KSB verzeichnete während der Coronazeit nicht einmal große Einbußen. Sportreferentin Tanja Grünberg konzipierte während der Lockdowns die Schulungen schnell zu Online-Seminaren um. Sicher sei die Nachfrage wegen der Pandemie etwas geringer gewesen, bestätigt sie, aber den eklatanten Einbruch auf dem Ausbildungssektor habe es nicht gegeben.

Überangebot an Aktivitäten

Und so bleibt nur das Orakeln, woran es liegen mag, dass immer weniger Menschen bereit sind, andere im Sport anzuleiten. Da gibt es die Meinung, dass gerade Frauen, die vielfach als Übungsleiter im Turnbereich tätig waren, heute selbst berufstätig sind, dazu Haushalt und Familie managen müssen und ihnen deshalb schlicht die Zeit dafür fehlt.

Junge Leute stehen heutzutage vor einem regelrechten Überangebot von Aktivitäten. Und letztlich ist die Arbeit mit Kindern heute auch anstrengender geworden, weil es oft an Disziplin fehlt. So ist die Aussage, dass Übungsleiter fehlen, vielleicht ein Spiegelbild der Gesellschaft, die Dienstleistungen verlangt und sogar bereit ist, dafür zu zahlen, nicht aber sich zu engagieren und womöglich noch Verantwortung zu übernehmen.

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Hintergrund

Kommt das bezahlte Ehrenamt?

„Das Interesse an Aus- und Fortbildungen nimmt wieder massiv zu!“ Das sagt Olaf Jähner, Geschäftsführer Vereinsentwicklung vom Niedersächsischen Turner-Bund (NTB). Bestes Beispiel dafür sei der NTB-Kongress, der am vergangenen Wochenende in Osnabrück mit rund 950 Teilnehmern, hauptsächlich Übungsleitern, stattfand.

Ad-hoc-Auswege aus dem Übungsleiter-Notstand kennt der NTB-Geschäftsführer auch nicht, aber er hat eine Ahnung, wohin die Reise geht: „Ich vermute, dass der Weg ins bezahlte Ehrenamt führt.“ Der Mindestlohn müsse wohl gezahlt werden. So könne man beispielsweise gerade jungen Leuten schmackhaft machen, eine Übungsleiterlizenz zu erwerben und Trainingsstunden in einer Sporthalle zu geben, anstatt im Supermarkt Regale für den Mindestlohn von zwölf Euro aufzufüllen. Viele Vereine müssten dann aber wohl oder übel an eine Beitragserhöhung denken, um das überhaupt finanzieren zu können.

Zudem, so fordert Jähner, müsse ehrenamtliches Engagement künftig noch stärker honoriert werden. Mögliche Formen seien die Ausweitung von Creditpoints fürs Studium oder sogar steuerliche Erleichterungen. Da bestehe akuter Handlungsbedarf vonseiten der Politik. [/box]

Von Kathrin Röhlke