Nach diversen Schicksalsschlägen glitt eine junge Mutter völlig ab. Das Amtsgericht gibt ihr eine letzte Chance.
Winsen. Sie macht ihren Hauptschulabschluss und bricht die Friseur-Lehre ab, als sie schwanger wird. Es folgt die Trennung vom Lebenspartner, ein Leben am Existenzminimum und schließlich nach diversen familiären Schicksalsschlägen der Absturz in die Kriminalität. Und plötzlich geht es für die zierliche, blonde Frau, die da am Vormittag schüchtern Saal 120 betritt, um alles oder nichts. Einer alleinerziehenden 29 Jahre alten zweifachen Mutter droht der Weg ins Gefängnis – ein solcher Fall ist auch für die Beteiligten im Amtsgericht Winsen nicht alltäglich.
Einbruch und 13-facher Betrug
Zunächst scheint es nur um Betrugsdelikte zu gehen, wie es sie so häufig gibt, wenn das Geld vorne und hinten nicht mehr reicht. Auf sich gestellt kommt die Mutter nicht mehr klar mit dem Hartz IV-Geld, das ihr das Jobcenter auszahlt. Also gibt sie an, auch ihr Mädchen über Tage und Wochen zu betreuen und dafür Geld zu benötigen. Dabei ist das heute achtjährige Mädchen die meiste Zeit bei einer Pflegefamilie untergebracht. Doch hier ein falsches Kreuz auf einem Antragsformular bringt schon mal 112 Euro im Monat mehr, eine weitere falsche Angabe dort sorgt dafür, dass das Amt 993 Euro zu viel auszahlt. Und wenn die Behörde skeptisch wird, fälscht Alexandra S. die Unterschrift des Kindesvaters.
Und so geht es vor Gericht zunächst vordergründig um fünffachen Betrug, zum Teil mit Urkundenfälschung und um die vergleichsweise geringe Schadenssumme von genau 2105,13 Euro. Die Dimension des Problems wird dem Verteidiger erst klar, als Richterin Petersen auf die Vorstrafe zu sprechen kommt. Anderthalb Jahre Gefängnis auf Bewährung wegen gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchs und Betrug in 13 Fällen. „Und nur sechs Monate nach diesem Urteil, das ihnen bestimmt schon damals als letzte Chance verkauft wurde, legen sie in der Bewährungszeit los mit der nächsten Betrugsserie“, sinniert der Staatsanwalt. Das höre er zum ersten Mal, gesteht der Verteidiger baff.
Erst starb die Mutter, dann der Vater
Alexandra S. versucht derweil zu erklären, wie sie immer tiefer hineinrutschen konnte in diesen Schlamassel. Erst starb die Mutter, dann nahm sich der Vater das Leben. Der Bruder alkoholkrank und dann kamen noch Corona und Lockdown. Und plötzlich hatte man keine Sozialkontakte mehr, für Zuschussanträge musste man plötzlich nicht mehr persönlich im Jobcenter vorstellig werden… „Und irgendwann haben Sie einfach immer weiter gemacht mit den falschen Angaben“, versteht die Richterin.
Der entscheidende Einschnitt sei dann die Geburt des Sohnes im Jahr 2021 gewesen, schildert die Angeklagte. „Das hat mir neue Energie gegeben, da war mir klar, dass ich grundlegend etwas verändern musste.“ Ihr Geld teilt sie sich jetzt genau ein („Es sind 15 Euro am Tag und mehr gebe ich auch nicht aus“), im Oktober will sie mit Hilfe des Jobcenters als Quereinsteigerin zur Kindergärtnerin umschulen. Ihre Tochter darf sie wahrscheinlich bald öfter sehen als nur 14tägig am Wochenende und mit dem Vater der Kinder kommt sie mittlerweile wieder gut aus. Ihr größter Wunsch sei ein geregeltes Leben mit ihrer Familie, sagt die 29-Jährige weinend, „ich habe ja keine Wurzeln mehr“.
So sehr das menschliche Schicksal auch berührt – auf der anderen Seite stehen einschlägige Betrugsdelikte während der Bewährungszeit. Der Staatsanwalt ringt sich aufgrund des schonungslosen Geständnisses noch einmal zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung durch, Richterin Petersen macht daraus in ihrem Urteil schließlich eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. Deutlich mehr spürbar wird für Alexandra S. aber zunächst die Rückzahlung der 2100 Euro sein.
Ein allerletztes Mal eine Bewährungsstrafe
Wenn sie aber während der Bewährungszeit von vier Jahren wieder straffällig wird, scheint eine erneute Haftverschonung ausgeschlossen. „Ich hoffe, dass sie sich gut aus diesem tiefen Loch wieder herauskämpfen können und ihr Sohn hilft, dem Leben neue Struktur zu geben“, so die Richterin abschließend.
Von Thomas Mitzlaff