Kunden müssen Monate auf einen Termin warten. Die Nachwuchssorgen der Branche verschärft die Situation noch.
Winsen. „Man wird in Zukunft auf einen Handwerker-Termin genauso lange warten müssen wie auf einen beim Facharzt.“ Wenn sich Andreas Baier die Zahl der Ausbildungsverträge ansieht, die der Kreishandwerkerschaft des Kreises Harburg in diesen Wochen gemeldet werden, dann sieht er bestätigt, was sich bereits seit längerem abgezeichnet hat: Die Situation hat sich auch in diesem Sommer wieder verschärft, die Nachwuchssituation im Handwerk ist dramatischer denn je. Der Geschäftsführer der hiesigen Kreishandwerkerschaft fordert ein Umdenken sowohl in der Gesellschaft, als auch in der Politik. Denn schlimmstenfalls drohe sonst ein Betriebe-Sterben – und das in einer Zeit, in der das Handwerk gefragter ist denn je.
Fleischer oder Bäcker finden gar keine Azubis
Baier weiß wovon er spricht, rund 640 Betriebe sind bei der Handwerkerschaft organisiert. Insgesamt gibt es im Kreis Harburg rund 2000 Handwerksfirmen. Und sie haben nur rund 1300 Azubis, und die sind auch noch auf drei Lehrjahre verteilt. Viel zu wenig und in vielen Branchen, besonders beim Bau, kommen noch die Lieferprobleme hinzu. Ganz abgesehen von irrealen politischen Vorgaben von Bund und Land.
Doch auch regionale Weichenstellungen verfolgt die Kreishandwerkerschaft mit Sorge. Etwa die Veränderungen in der Schullandschaft, hin zu immer mehr Gesamtschulen. „Jeder zweite wird sein Abitur machen, die meisten davon studieren und das Handwerk blutet aus“, befürchtet Andreas Baier.
Die Folgen bekommt man jetzt schon quer durch alle Branchen zu spüren. Ganz schlimm sehe es auf dem Lebensmittelsektor aus, so der Geschäftsführer. Fleischer oder auch Bäcker etwa fänden größtenteils schon seit Jahren keine Interessenten mehr. „Besonders dramatisch ist die Situation im Bereich Sanitär, Heizung und Klimatechnik“, schildert Baier. Dort soll man die politischen Vorgaben für Klima- und Energiewende ja quasi im Alleingang wuppen – doch wie soll das gehen, wenn man kaum eine Chance hat, das zu knappe Personal für neue Formen der Heiztechnik zu schulen?
„Das Handwerk bietet krisensichere Jobs“
Natürlich sind die Nachwuchsprobleme zum Teil auch hausgemacht, dessen ist sich die Branche bewusst. Doch mittlerweile habe sich viel getan, betont der hauptamtliche Chef der Kreishandwerkerschaft. So war man in Stelle beim größten Feuerwehr-Nachwuchszeltlager des Nordens vertreten. Junge Leute, technisch begabt und verbunden mit ihrer Region – das ist genau die Zielgruppe, die man zu interessieren hofft. Zwei lange Corona-Jahre konnte man praktisch nicht in eigener Sache werben, es gab weder Präsenzmessen noch Praktika.
„Das Handwerk bietet krisensichere Jobs, man kann auch schon während der Lehre gutes Geld verdienen und hat auch Aufstiegsmöglichkeiten“, listet Andreas Baier die Vorzüge auf. So bekämen Azubis etwa im Baubereich schon im ersten Lehrjahr mehr als 1000 und im dritten knapp 2000 Euro. Und mit dem Gesellenbrief gebe es zahlreiche weitere Entwicklungsmöglichkeiten zum Leistungsträger einer Firma. Und mancherorts suchen die Senior-Chefs sogar perspektivisch einen Nachfolger, damit der Betrieb nicht sterben muss.
Die Bundespolitik sorgt für Kopfschütteln
Doch auch die Bundespolitik sorgt vor Ort für Kopfschütteln. Etwa der Plan der Regierung, pro Jahr 400 000 neue Wohnungen zu bauen. „Solche Vorgaben zu machen, ohne die Branche zu fragen, was sie überhaupt leisten kann und ohne die Rahmenbedingungen zu schaffen, finde ich fraglich“, formuliert es der Geschäftsführer noch vorsichtig. Die Vorgabe sei utopisch, „weil es sowohl an Personal als auch an Material fehlt“.
Aber jeder Mangel bietet auch eine Chance – und sei es nur der Umstand, dass das Handwerk wieder eine andere Wertschätzung in der Gesellschaft erfährt, hofft Andreas Baier. Ihren Beitrag zum Nachdenken will die Kreishandwerkerschaft leisten. So wurden jüngst Plakate gedruckt. Darauf zu sehen sind junge Menschen. Und plastische Formulierungen wie „Was gegen Handwerk spricht? Meine Akademikereltern“ oder „Wieso soll Karriere nur mit Studium gehen?“.
Von Thomas Mitzlaff
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