Ein 52-Jähriger wird wegen Bedrohung zu einer Geldstrafe verurteilt. Zur Verhandlung kommt er angetrunken.
Winsen. Der 52-Jährige soll einen Nachbarn bedroht und sich einige Tage später vor eben diesem Nachbarn entblößt haben. Nun muss er sich dafür vor dem Amtsgericht Winsen verantworten. Zehn Minuten zu spät stolpert er in den Saal 120. Er sei gestern schon da gewesen, habe auch die Hose, die bei der Entblößung gefallen sei, dabei, nun aber habe er sie vergessen.
Rund um den Jahreswechsel gab es zwei Vorfälle. Der 52-Jährige soll zunächst seinen Nachbarn im Mehrfamilienhaus über die Gegensprechanlage bedroht haben. Er wolle ihn umhauen und plattmachen, heißt es in der Anklageschrift. Dann das öffentliche Ärgernis: Der Angeklagte habe seinen Nachbarn auf dem Balkon entdeckt und daraufhin seine Hose heruntergezogen und gefeixt.
Verhalten des Seevetalers wird immer grenzwertiger
Es ist kein ganz klassischer Nachbarstreit, es geht nicht ums Rasenmähen. Wahlweise seit 2016 oder 2014 scheint etwas aus dem Gleichgewicht geraten zu sein: Der Angeklagte habe Autos beschmiert und beschädigt, berichtet der Nachbar, der als Zeuge geladen ist. Der 64-Jährige ist bestens vorbereitet, denn er führt Buch über die Vorfälle. Auch die anderen Nachbarn seien genervt vom 52-Jährigen.
Als Zuschauer kann man das recht schnell nachvollziehen, denn das Verhalten des Seevetalers wird immer grenzwertiger. Er lässt sich zunächst zur Anklage ein. Die Hose sei ihm beim Gehen heruntergerutscht, es war eine weite Hose, gestern hatte er die ja noch dabei. Der Zeuge habe ihn gefilmt, das dürfe der gar nicht. Vor allem aber sei der Mann neidisch auf ihn. Der 52-Jährige sagt: „Ich habe ein schillerndes Leben geführt.“ Er hustet und räuspert sich oft, wippt nervös mit dem Bein.
Der Streit hat auf einer Cocktailparty begonnen
Er habe zwölf Jahre lang ein erfolgreiches Taxi-Unternehmen geführt. Der Streit mit dem Nachbarn habe auf einer Cocktailparty begonnen. Da habe der seine Frau, eine Asiatin, verunglimpft. Später aber habe der Nachbar für ihn Taxi fahren wollen, das habe er abgelehnt. Die Bedrohungen seien erfunden, die schreibe sein Nachbar immer an sich selbst. „Der ist neidisch auf mein Leben.“
Das erscheint aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Das Taxi-Unternehmen ist seit 2019 Geschichte, der Angeklagte wurde damals für eine Trunkenheitsfahrt verurteilt. Richter Dr. Meik Lange erklärt dem 52-Jährigen, dass ein Gutachten zu dessen Verhandlungsfähigkeit vorliege. Verlesen muss er es nicht, der Angeklagte sagt klar: „Ich bin Alkoholiker.“ Er sei seit etwa kurz nach 3 Uhr wach und habe bisher drei Bier intus. So schillert das Leben jetzt.
Mappe ist gut gefüllt
Als der Nachbar zur Zeugenaussage den Saal 120 betritt, wird der Angeklagte unruhig. Er murmelt „Münchhausen“. Richter Lange holt vorsorglich die Wachtmeisterei in den Saal. Der 64-Jährige bleibt ruhig, bestätigt, dass die in der Anklage erhobenen Vorwürfe so von ihm bei der Polizei zur Anzeige gebracht worden seien. In seiner Mappe habe er nur die Vorfälle der letzten sechs Monate gesammelt. Die Mappe ist gut gefüllt.
Bei der Bedrohung habe er die Stimme des Angeklagten auch durch die Gegensprechanlage erkannt. Im Garten habe dieser sich „aktiv“ die Hose heruntergezogen, sich aber nicht entblößt.
Staatsanwalt sieht die Vorwürfe bestätigt
Der Werdegang des Angeklagten ist abwechslungsreich. An der Abendschule habe er seinen Realschulabschluss gemacht. Er wollte auch das Abitur ablegen, habe aber zu viel arbeiten müssen. Nach erfolgreicher Ausbildung bei einem großen Versicherer sei es gut gelaufen. Der Verdienst sei bestens gewesen, der Job aber nicht. In der Automobil-Branche kann er nicht landen. Nach „Tausend anderen Jobs“ habe er im Harburger Hafen ein Bistro-Restaurant eröffnet, das auch gut gelaufen sei, bis ihm die Miete exorbitant erhöht worden sei.
Dann habe er sein Taxi-Unternehmen bis 2019 geführt, seither lebt er von Grundsicherung und einem Mini-Job. Der Mann sorgt in einem Veranstaltungszentrum für die Bestuhlung. Er wolle aber wieder Taxi-Unternehmer werden. Das dürfte mit der Vorstrafe zur Alkoholfahrt schwierig werden, wirft Richter Lange ein.
Der Staatsanwalt sieht die Vorwürfe bestätigt, hält den Zeugen für glaubhaft. Er beantrage eine Geldstrafe von 900 Euro. „Wenn hier einer glaubwürdig ist, dann ja wohl ich“, meint der 52-Jährige. Richter Lange wertet anders, verhängt gar eine Geldstrafe von 1200 Euro. Der letzte Ausruf des Angeklagten schafft es noch ins Protokoll: „Ich mache Euch platt!“
Von Björn Hansen