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Lulu-Premiere: Eine Frau im Visier der Männer

Lüneburg. Zwölftonmusik? Okay, das ist jetzt erst mal nicht jedermanns Sache, Mozart geht anders. Alle zwölf Halbtöne der Tonleiter seien gleichberechtigt zu betrachten, so forderte es Arnold Schönberg, und eine Note dürfe erst wiederholt werden, wenn die anderen elf abgearbeitet wurden. Klingt spröde, muss aber nicht sein, das ist eben etwas für Feinschmecker: „Zwölftonmusik wurde nicht für die Oper geschaffen“, sagt Jenifer Lary, aber die Koloratursopranistin verspricht einen Theaterabend „geprägt von der Spätromantik, mit modernen Elementen“. Jenifer Lary singt und spielt die Titelrolle in Alban Bergs „Lulu“, die Oper feiert am Sonnabend, 4. März, 20 Uhr, Premiere im Theater Lüneburg.

Erdgeist und die
Büchse der Pandora

Erzählt wird die Geschichte einer Frau aus der Perspektive der Männer: die faszinierende, irritierende Lulu als Projektionsfläche für die Fantasien und Ängste von Männern, die geliebt und begehrt werden wollen, und sich doch vor allem selbst sehen und lieben. Zugleich dreht sich die Geschichte – basierend auf Frank Wedekinds Dramen „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ – um Lulus Ringen um Autonomie und Selbstbestimmung.
Seit ihrem zwölften Lebensjahr lebt Lulu, Betonung auf der zweiten Silbe, bei Dr. Schön. Nicht nur er liebt sie, auch sein Sohn Alwa – und eigentlich alle Männer um sie herum. Die Liebe dieser Männer ist mal fordernd und besitzergreifend, zuweilen brutal und rücksichtslos, dann wieder hingebungsvoll und unterwürfig. In einem Anfall rasender Eifersucht verlangt Dr. Schön von ihr, sich selbst zu töten, doch sie wendet die Waffe im entscheidenden Moment gegen ihn.

Theater-Intendant Hajo Fouquet stützt sich bei der Inszenierung auf eine unvollendete Fassung in zwei Akten. Alban Berg arbeitete ab 1928 mit Unterbrechungen an der Vertonung seiner Oper, 1935 starb er an einer Blutvergiftung. Die Oper blieb unvollendet und wurde 1937 post­hum am Opernhaus Zürich uraufgeführt. Die Lüneburger Lulu basiert auf einer Bearbeitung von Eberhard Kloke für Soli und Kammerorchester.
„Eine so autonome weibliche Hauptfigur wie in Bergs Lulu gab es vorher nicht“, sagt Chefdramaturg Friedrich von Mansberg. „Das zeigt, wie modern und heutig das Werk ist.“ Ursprünglich für die Titelrolle vorgesehen war Rebekka Reister, doch dann musste krankheitsbedingt umbesetzt werden. Eingesprungen ist also die Wiener Sängerin Jenifer Lary, sie hat die Lulu in der vergangenen Saison in Heidelberg gesungen.

Mindestens ein
halbes Jahr Probe

Ein Glücksfall, „die Rolle braucht mindestens ein halbes Jahr Probe“, sagt Lary: „Die Musik ist insgesamt sehr facettenreich, für jede Person hat Alban Berg eine eigene Tonart, eine eigene Linie geschaffen.“ An den kompositorischen Vorgaben sei übrigens auch Schönberg selbst gescheitert, der Wiener (1874-1951) hatte sich selbst als alleiniger Erfinder der Zwölftonmusik bezeichnet. „Wenn jemand das konnte, dann Alban Berg, er hat das fein und würdevoll umgesetzt.“

Und die Inszenierung selbst? „Sie ist sehr körperlich“, sagt Jenifer Lary, „Lulu ist schließlich das Objekt der Begierde der Männer. Die Heidelberger lief ja in der Corona-Zeit, da war Distanz erzwungen, Berührungen waren verboten, was zu der Oper eigentlich nicht passt.“ Den Lüneburgern ist Jenifer Lary vertraut, 2019 spielte sie gemeinsam mit Alexander Tremmel den Liederabend „Zwei Wiener Herzen im Dreivierteltakt“. Die Sängerin wurde 1992 in Wien geboren. Ihre Ausbildung führte an die Anton Bruckner Privatuniversität Linz, an die Hochschule für Musik in Nürnberg sowie an die Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien.
Bis zum 17. Juni sind Vorstellungen geplant. Durch die Umbesetzung müssen die Vorstellungen am 19. März und 26. März entfallen. Gekaufte Karten können an der Theaterkasse storniert oder zurückgegeben werden. Jeweils 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn gibt es eine Einführung im rechten Seitenfoyer. Die musikalische Leitung hat Thomas Dorsch.

Von Frank Füllgrabe