Kommentar
Es gab eine Zeit, da fuhren die Leute aus Winsen in Massen nach Lüneburg, um bei Karstadt einzukaufen. Karstadt war der Magnet für den Handel der Hansestadt. Es gab den „Karstadt-Effekt“, der besagte, dass rund zehn Prozent des Publikums wegen Karstadt Geld in der Salzstadt lassen. Lang, lang ist’s her. Karstadt schlingert seit Jahren. Ohne viel Geld vom Staat wären die Lichter längst erloschen. Jetzt müssen bundesweit 52 Filialen schließen. Lüneburg bleibt.
Karstadt war einst Ausgangspunkt und Leuchtturm der Idee „Kaufhaus Lüneburg“. Ein Konsum-Kurs, dem viel geopfert wurde, der aber auch viele Jahre so gut funktioniere, dass Politiker, Händler und Hauseigentümer der besten Lagen erste Warnsignale einfach nicht wahrgenommen haben oder wahrnehmen wollten. Und das war nicht nur der Online-Handel, sondern das waren auch die veränderten Ansprüche des Publikums.
1A-Lagen mit
toten Schaufenstern
Längst bröckelt das „Kaufhaus“ an allen Ecken und Enden, das entgeht auch den Besuchern aus dem Landkreis Harburg nicht. In den 1A-Lagen Bäckerstraße und Grapengießerstraße stehen mehr als ein Dutzend Läden leer, oft Schaufenster an Schaufenster.
Das ist kein Lüneburger Phänomen, trifft andere Städte noch härter. Das ist Trend. Und in der Krise wird sich weisen, ob die Bewahrer der Kaufhaus-Lüneburg-Fraktion den Wandel verpassen und Zuschüsse in eine Sackgasse leiten oder ob die Erlebnisstadt-Fraktion doch genug Mut aufbringt, ins Risiko zu gehen. Ein gewaltiges Spannungsfeld.
Gefordert ist ein Praxis-Pakt aus den Experten der Stadtentwicklung, aus der Marketing GmbH und Kaufmannschaft, Kneipe und Kultur, nicht, um noch einen Arbeitskreis zu gründen, sondern um die Ideen nicht nur in die Köpfe, sondern auch auf die Straße zu bringen.
Karstadt lokaler zu positionieren, wie beabsichtigt, und um eine kleinere Verkaufsfläche herum mehr Service anzubieten, der Publikum zieht, das wäre ein kluger Schachzug.
Der Deutsche Städtetag hat die Parole ausgerufen: Die Innenstadt wird zum Ort des Wohnens, der Kultur, der Gastronomie, der Vereine und Verbände, der Begegnung und des Handels – Kommerz ist nicht mehr das alleinige Ziel.
Wer die letzten Jahre aufmerksam durch die schönen Ecken von Lüneburg geschlendert ist, ob an der Heiligengeiststraße, an der Schrangenstraße oder im Wasserviertel, der findet solche Orte, wo Einkauf, Café, Co-Working-Space vernetzt sind. Die Geschäftsleute mit Erfahrung und ohne Dollarzeichen in den Augen sind da, sie müssen nur gefragt werden.
Und Lüneburg kann sich glücklich schätzen, dass die Kunden aus der Region, und die Kennzeichen WL oder HH sind dabei deutlich in der Überzahl, in die Hansestadt fahren, weil die Stadt im Gegensatz zu anderen Städten ringsum weiter Atmosphäre verbreitet und mit rund 1400 Baudenkmälern einen starken Magneten hat.
Hans-Herbert Jenckel