You are currently viewing Stadler und Grosse-Brömer bei der Wahlrechtsreform auf Konfrontationskurs
Die Bundestagsabgeordneten Svenja Stadler (SPD) und Michael Grosse-Brömer (CDU) vertreten unterschiedliche Auffassungen zur Wahlrechstreform. (Fotos: Hendrik Lüders, Tobias Koch)

Stadler und Grosse-Brömer bei der Wahlrechtsreform auf Konfrontationskurs

Anzeige

Landkreis. Seit mehreren Wahlperioden wächst der Bundestag. Der hauptsächliche Grund dafür ist die Zersplitterung der Parteienlandschaft und die damit zusammenhängenden Überhang- und Ausgleichsmandate. Während in den 90er-Jahren noch maximal vier Parteien im Parlament vertreten waren, sind es heute sechs – wenn man CDU und CSU als eine Kraft zählt. Doch genau der bayerische Teil der Union steht nun auf der Kippe. Denn mit der vor einer Woche beschlossenen Wahlrechtsreform, die den Bundestag auf maximal 630 Mandate beschränken soll, entfällt auch die sogenannte Grundmandatsklausel, die Parteien den Einzug unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde bei mindestens drei gewonnenen Direktmandaten ermöglicht. Für die CSU könnte es bei der nächsten Wahl knapp werden. Die Bundestagsabgeordneten des Landkreises äußerten sich auf Anfrage des WA naturgemäß unterschiedlich zu den Änderungen.

Die CDU
als Blockierer?

„Das Wachstum des Bundestags ist ein großes Problem, das auf jeden Fall gelöst werden muss. Egal welche neue Reform durchgesetzt wird, an einer Stelle müssen immer Abstriche gemacht werden“, erklärt die Sozialdemokratin Svenja Stadler. Gerade das mache eine Einigung so schwierig. Dennoch brauchte es eine zeitnahe Lösung, so Stadler weiter. „Die Union hat dabei in den letzten Jahren jede faire Reform blockiert. Im Januar hat sie übrigens in einem Antrag im Bundestag selbst noch die Abschaffung der Grundmandatsklausel gefordert“, kritisiert die Seevetalerin die Opposition.

Unterschiedliche Ansichten
bei SPD und CDU

„Ich halte diese Änderung für falsch. Es kann doch nicht sein, dass eine Partei möglicherweise 45 Wahlkreise direkt gewinnt und keiner dieser Wahlsieger vor Ort in den Bundestag einzieht, wenn die Partei nicht bundesweit mehr als 5 Prozent der Zweitstimmen erreicht. Das soll auch für die CSU gelten, obwohl sie nur in Bayern antritt. Diese Änderung des Wahlrechts gegen das Prinzip des direkt gewählten Abgeordneten ist demokratisch sowie verfassungsrechtlich höchst problematisch“, meint dagegen Michael Grosse-Brömer von der CDU. Die Union habe zwei konkrete Vorschläge gemacht, die eine Verkleinerung des Parlaments ermöglicht hätten, führt der Jurist an. „Dafür hätten wir die Anzahl der Wahlkreise auf 270 reduziert und über die Liste hätten noch zusätzlich 320 Abgeordnete Mitglied des Bundestages werden können. Außerdem hätten wir die Anzahl von Überhangmandaten nicht ausgeglichen, die das Bundesverfassungsgericht für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten hat“, berichtet Grosse-Brömer.

„Angesichts dieses fundamentalen Bruchs mit dem bisher geltenden Wahlrecht sollte das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob das alles so rechtlich möglich ist. Schließlich gewinnen zwei von drei Parteien der Ampel so gut wie nie einen der Bundestagswahlkreise in Deutschland und halten deren Bestand deshalb offenbar für weniger wichtig als Parteilisten. Friedrich Merz hat deshalb angekündigt, der CDU/CSU-Fraktion ein Verfahren der Normenkontrollklage vorzuschlagen. Diesen Vorschlag unterstütze ich“, macht Michael Grosse-Brömer seinen Standpunkt deutlich.

Für Stadler ist
die Reform die Lösung

Svenja Stadler hält die Reform dagegen für juristisch wasserdicht: „Die Wahlrechtsreform entspricht der Verfassung und stellt eine nachvollziehbare Lösung für das Problem dar. Die Reform betrifft alle Parteien und ist daher eindeutig keine ‚bewusste Manipulation‘. Es geht hier vor allem um die Verantwortung des großen Ganzen. Diese Verantwortung steht über parteitaktischen Erwägungen.“
Das neue Wahlrecht führe auch für die SPD zu einer organisationspolitischen Herausforderung, die es gemeinsam zu lösen gelte. Von einem „Angriff auf die Demokratie“ zu sprechen, wie es beispielsweise vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder zu hören war, ist nach Meinung der Politikerin gefährlich und nicht angebracht, wenn man sich anschaue wie weltweit Demokratien unter Druck geraten und sich in Richtung Autokratie entwickelten.
„Die CDU/CSU hat das sogenannte ‚Grabenwahlrecht‘ vorgeschlagen. Bei diesem Modell wird eine Hälfte der Mandate mit den Direktkandidaten der Wahlkreise besetzt. Unabhängig davon wird die zweite Hälfte mit den Listenkandidaten gemäß der Zweitstimme besetzt“, erläutert Stadler. Bei diesem System könnte sich das Mehrheitsverhältnis der Zweitstimme erheblich verändern, gibt die gelernte PR-Beraterin zu bedenken. „Und nach einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes von 2012 hat das Verhältniswahlrecht Vorrang.“

Wahlkreise könnten
leer ausgehen

„Wie soll man denn Wählerinnen und Wählern vor Ort erklären, dass sie einen Kandidaten gewählt haben, den sie gerne im Bundestag sehen wollen, der aber, obwohl er die Mehrheit der Stimmen bekommen hat, dort nicht hinkommt?“ fragt dagegen Grosse-Brömer. Für die Bürgerinnen und Bürger sei es nach seiner Auffassung entscheidend, dass ihre lokalen Interessen im Parlament vertreten werden und sie einen Ansprechpartner in Berlin haben. „Dass die Ampel dieses Prinzip jetzt abgeschafft hat, ist ein beispielloser Bruch mit dem System der personalisierten Verhältniswahl. Ein solches Wahlrecht beschädigt das Vertrauen der Wähler in die Demokratie“, glaubt der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses.

Svenja Stadler hält es für äußerst unwahrscheinlich, dass einzelne Wahlkreise in Berlin nicht mehr vertreten werden. „Denn selbst wenn ein Wahlkreis keinen Direktkandidaten entsendet, wird er mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit durch einen Abgeordneten aus dem Wahlkreis vertreten, der durch die Zweitstimme in den Bundestag einzieht. Es kommen ja in der Regel immer mehrere Abgeordnete aus einem Wahlkreis. Zudem wurde die Regelgröße des Bundestags von 598 auf 630 Sitze erhöht.“ Dadurch würde diese Zweitstimmendeckung weitestgehend garantiert. Außerdem sollte die Wahl keine Personenwahl sein, sondern eher Parteien und ihre Inhalte unterstützen, meint die Bundestagsabgeordnete.
Von Andreas Urhahn