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Geblitzt auf der Autobahn: Ein Seevetaler fuhr erheblich zu schnell, und zwar ohne gültige Fahrerlaubnis. (Foto: AdobeStock)

68-Jähriger Raser ohne Führerschein streitet alles ab

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Winsen. Chuzpe ist ein schönes Wort aus dem Jiddischen. Chuzpe hat jemand, der eine Dreistigkeit mit einiger Überzeugung vertritt. Richtig gemacht, kann das schon wieder fast sympathisch sein. Im Amtsgericht in Winsen versuchte sich jetzt ein 68 Jahre alter Mann aus Seevetal darin. Der Vorwurf: Er sei an einem Sommertag im Juli vergangenen Jahres gegen 5.47 Uhr mit seinem Auto auf der Autobahn 1 bei Meckelfeld mindestens 194 Stundenkilometer schnell gefahren. Man weiß das so genau, weil der Mann in einer Tempo-120-Zone geblitzt worden war. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen wurde zudem klar, dass der 68-Jährige dabei ohne Führerschein unterwegs war.

So ging es Dienstagmorgen in Saal 120 des Amtsgerichts, der Angeklagte wartete in Begleitung auf seinen offenbar kurzfristig bestellten Verteider. Richter Dr. Meik Lange eröffnete die Verhandlung, die kurz darauf stockte. Der Verteidiger sprach für seinen Mandanten: „Er ist nicht der Fahrer.“ Zudem sei die Kopie des Blitzersfotos sehr schlecht. Lange widersprach. Der Angeklagte sei gut zu erkennen. Und zudem habe er bei einer polizeilichen Vernehmung im vergangenen Dezember zugegeben, dass er der Fahrer gewesen sei und diese Aussage auch unterschrieben.

Unter Druck der Polizei
zur Unterschrift genötigt?

Für den Verteidiger war das eine Überraschung. So weit war er in der Akte nicht gekommen. Die Verhandlung wurde für einige Minuten unterbrochen, um die nächste skurrile Aussage zu machen. Sein Mandant habe die Aussage zwar unterschrieben, sei bei der Polizei aber unter Druck gesetzt worden. Richter Lange fragte nach: „Wie viele Polizeibeamte haben Sie den vernommen?“ Jetzt antwortete der Angeklagte selbst. Eine Polizeibeamtin habe ihn befragt. „Die hat mich in die Mangel genommen.“ Um die Befragung endlich zu beenden, habe er unterschrieben.

Für Richter Lange ergab sich daraus schon wieder die nächste Frage: „Wer hat denn dann ihr Auto gefahren?“ Auch hier gab es nur eine mystische Antwort des Verteidigers: „Angaben dazu, wer gefahren ist, können nicht gemacht werden.“ Das war es dann mit der Chuzpe, das war jetzt schlichtes Zeitspiel. Der Verteidiger wollte in den Fortsetzungstermin. Die Polizeibeamtin, die den Angeklagten zuvor verhört hatte, solle als Zeugin geladen werden. Ebenso wird jetzt das Blitzerfoto in Hochglanz nachbestellt. „Ich habe damit kein Problem, dass können wir alles gerne machen“, so der Richter.

Blitzerfoto zeigt wohl
doch eher den Angeklagten

Zum Abschluss hielt Richter Lange dann noch einmal die vorliegenden Fotos des geblitzten Fahrers aus der Akte hoch. Auf beiden Fotos trägt der Mann zwar jeweils eine Brille, sieht dem 68-Jährigen im Gerichtssaal ohne Brille aber geradezu verblüffend ähnlich. Insofern erscheint die Aussage des Angeklagten, dass er nicht am Steuer gesessen habe, schon beinahe lachhaft.

Wohin diese Verteidigungsstrategie führen soll, ist offen. In der Fortsetzung dürften weder das Hochglanz-Foto, noch die Aussage der Polizeibeamtin zu einer spektakulären Wende in diesem Fall führen. Zudem ist der Seevetaler bereits mehrfach vorbestraft, unter anderem auch einschlägig, aber auch wegen Beleidigung. Wegen einer Trunkenheitsfahrt vor fünf Jahren hatte der Mann seinen Führerschein verloren und offenbar nicht wieder beantragt.

Nach Verhandlungsende diskutierten Verteidger und Angeklagter noch vor dem Schlosstor des Amtsgerichts das weitere Vorgehen. Eigentlich geht es nur darum, sich mit einer ordentlichen Geldstrafe und einem fortgesetzten Entzug der Fahrerlaubnis zu arrangieren. Kommt es jedoch zur Fortsetzung, braucht es ein Wunder für einen Freispruch. Im Zweifel wird es nur noch unangenehmer, auch was das Strafmaß angeht.
Von Björn Hansen