Lüneburg. Es gibt Werke, die altern nicht, nicht in der Kunst, nicht in der Musik und auch nicht im Theater. Goethes „Faust“, gut 200 Jahren alt, bleibt das berühmteste deutsche Drama. In Lüneburgs Theater war Goethes größter Hit zuletzt 2014 zu sehen. Nun treten Heinrich Faust, Mephisto, Gretchen und Co. in einer freien Produktion unter Eichen und Buchen auf, ab 22. Juli, 20 Uhr am Kulturforum. „Das Stück hat eine unheimliche Gültigkeit“, sagt Regisseur Gerhard Weber.
Weber und Dramaturg Axel Schmidt-Scherer starteten 2023 mit Open-Air-Theater in Lüneburg. Auf der Großen Bleiche des Klosters Lüne entführten sie zum „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“. Der Goethe-Schwank in der zugespitzten Fassung von Peter Hacks wurde zum satten Erfolg. Das rief nach mehr. Nun folgt der Griff zum „Faust“. Warum? „Wir suchten ein Stück mit Substanz und Unterhaltungs-Potenzial, das geeignet sein musste, draußen gespielt zu werden“, sagt Schmidt-Scherer.
Mal nachdenklich, mal unterhaltsam
„Faust“, findet Regisseur Weber, hat uns nach wie vor viel zu sagen. „Es geht um den Umgang mit der Natur, mit dem von Mann und Frau und vor allem um die Frage: Wie gehen wir mit dem potenziell Bösen in uns um?“ Kurz gesagt: Es geht um Himmel und Hölle auf Erden. Um den Gelehrten Heinrich Faust und sein Zerrissensein zwischen dem Streben nach immer Höherem und Fallen ins immer Niedrige. „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust / die eine will sich von der anderen trennen.“
Unendlich viel ist in die Tragödie hinein- und hinausgedeutet worden. Weber und Schmidt-Scherer haben aus dem Text eine schlanke Fassung erarbeitet. „Ernsthaftes, zu Nachdenken und Auseinandersetzung Anregendes, und Unterhaltsames halten sich die Waage“, sagt der Regisseur. Gerhard Weber ist ein ausgebuffter Theatermann, war unter anderem Intendant der Landesbühne Hannover und des Theaters Trier.
Ein Projektchor
aus Laien mischt sich ein
Elf Darsteller sind dabei, einige waren schon mit in „Plundersweilern“. Gerry Hungbauer etwa, er spielt den Verführer und Entertainer Mephisto, die attraktivste Rolle im Stück. Isabel Arlt ist auch wieder dabei, als Gretchen. Neu hinzu kommen in der Titelrolle Jürgen Morche und als Marthe Catharina Fleckenstein. Zum ersten Mal, seit er am theater im e.novum das Theaterspiel entdeckte, ist Lennart Hillmann wieder in Lüneburg zu erleben.
Ein fünfköpfiger Projektchor wird sich einmischen, und viel Musik wird erklingen. Für sie sorgt wie im Vorjahr Karsten Köppen. Zwei und eine halbe Stunde soll der Abend dauern, im Hellen beginnen, im Dunklen ausklingen. Zu erleben ist ein Stationendrama. Auf mehreren Spielflächen wird im „Konzertpark“ geprobt. So nennt Mathias Meyer, Vorstandsvorsitzender des Kulturforum-Vereins, den Spielort. Er soll einmal eine fest installierte Open-Air-Bühne erhalten.
Bei Regen geht
es in die Scheune
Sechsmal wird „Faust“ zwischen 22. Juli und 6. August gespielt. Mit 200 Besuchern pro Vorstellung kalkulieren die Theatermacher. Theoretisch ließen sich 500 unterbringen, meint Meyer. Die würden auch in die Konzertscheune passen, die bei Regen zur Spielstätte wird.
„Wir sind sehr glücklich, diese Spielstätte entdeckt zu haben, mit Mathias Meyer als Partner“, sagt Schmidt-Scherer. Die Theatermacher denken schon weiter, das Konzept „Klassik mit Unterhaltung“ soll auch 2024 tragen. Aber soweit ist es noch nicht. Jetzt ist erst einmal „Faust“ dran – und wie sagt doch der Theaterdirektor: „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen!“
Von Hans-Martin Koch