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Der Boss im Volksparkstadion. (Foto: Matthias Sobbotka)

Bruce Springsteen liefert in Hamburg vor 50.000 Fans ein denkwürdiges Konzert ab

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Hamburg. So viel sei schon einmal vorweg gesagt: Dies ist kein kritischer Text – auch, wenn er wohl unter der Rubrik „Konzertkritik“ einzuordnen ist. Dies ist, ich gestehe es frei heraus, der Text eines Fans. Eines Fans von Bruce Springsteen.

Ja, als Journalisten sollen wir kritische Distanz wahren und auf Schwachstellen aufmerksam machen. Doch sollte uns das trotzdem nicht die Fähigkeit nehmen, auch schwärmen zu können, wenn etwas einfach nur grandios war. So wird das, was jetzt kommt, eine – im besten Wortsinne – Lobhudelei. Ich sitze hier an der Tastatur und kann nicht anders.

Autor Matthias Sobottka, ein eingefleischter Springsteen-Fan, siehe Cappy. (Foto: Iris Kuss)

15. Juli 2023, Volksparkstadion Hamburg: Bruce Springsteen, der Boss, und seine legendäre E Street Band machen auf ihrer Welttour Station in der Hansestadt. 50.000 Fans sind da. Ausverkauft. Logisch. Man kennt das ja aus dem Arbeitsleben: Wenn der Boss ruft, dann muss man da hin.

Als die Mitglieder der E Street Band einzeln die Bühne betreten, rasten die Leute schon aus. Das wird nur noch übertroffen, als der Boss höchstpersönlich die Bühne entert. So großer und lauter Jubel wird in diesem Stadion frühestens dann wieder zu hören sein, wenn der HSV tatsächlich mal den Aufstieg schaffen sollte.

Schon mit dem Eröffnungssong setzt das Ensemble um die Weltklasse-Gitarristen Steven van Zandt und Nils Lofgren sowie Tastengott Roy Bittan ein Zeichen: No Surrender, kein Aufgeben. Nein, sie ziehen sich noch nicht zurück: „No retreat, baby“. Volle Rock-Power voraus.

Was folgt sind fast drei Stunden allerfeinste, hochenergetische und emotionale Rockmusik. Bruce Springsteen holt auf der Bühne alles aus sich heraus, er gibt alles für seine Fans. Jeder merkt: Das ist hier kein Job für ihn, der erledigt werden muss. Das ist Lust auf Musik, Leidenschaft für das, was er liebt.

Seine Stimme ist immer noch klar, kraftvoll. Er trifft die Töne, reißt seine Band mit, peitscht das Publikum auf. Er wirkt am Ende des Konzerts genauso frisch und vital wie zu Beginn. Im September wird der Boss 74 Jahre alt, nein: jung. Ich frage mich: Woher nimmt der Kerl immer noch diese unbändige Power? Ich verneige mich gedanklich gefühlt 1000 Mal.

Die Setlist lässt für Fans und vielleicht auch Springsteen-Newcomer mal so gar keine Wünsche offen. Der Boss bietet einen Querschnitt durch die Jahrzehnte. Von den hymnenartigen Songs, die ihn groß gemacht haben, wie The Promised Land, Darlington County, Working on a Highway, Backstreets, Badlands, Thunder Road und – natürlich – Born to run über eine feine Jazz-Nummer („Kitty’s back“) und Cover-Songs wie grandiosen Interpretationen des Commodores-Hits „Nightshift“ oder des Patti-Smith-Klassikers „Because the night“ (das ganze Stadion singt den Refrain in vollen Zügen mit) bis hin zu den emotionalen Momenten.

Große Emotionen sind bei Springsteen-Auftritten immer inklusive. In Hamburg sind es „The River“ (mein ganz persönliches Highlight), aber auch „Last man standing“. Eine berührende Hommage an George Theiss, den verstorbenen Gründer seiner ersten Band „The Castiles“.

„I’m the last man standing“, frei übersetzt: „Ich bin der Letzte, der noch da ist.“ Springsteen, der musikalische Nationalheld des liberalen Amerika, singt, rockt, schuftet sich drei Stunden durch eine Nacht, die man nur als magisch bezeichnen kann.

Stichwort Emotionen: Immer wieder kommt bei den Songs Jake Clemons ins Spiel. Sein Saxofon-Spiel ist so klar, präzise und kraftvoll – zum Niederknien. Clemons setzt eine wunderbare Tradition in der E Street Band fort. Sein Onkel Clarence Clemons, den der Boss immer liebe- und respektvoll „The big Man“ nannte, war jahrzehntelang als Saxofonist einer der Stars des Ensembles, ehe er 2011 an den Folgen eines Schlaganfalls verstarb. Von ihm und von dem 2008 verstorbenen Akkordeon-Spieler und Organisten Danny Federici, ebenfalls Mitglied der Band, laufen bei „Tenth Avenue Freeze Out“ Bilder über die LED-Wände neben der Bühne.

Nach der fünften Zugabe verabschiedet sich Springsteen von jedem einzelnen seiner Bandmitglieder, die die Bühne verlassen. Er selbst bleibt noch für einen Song und schickt seine Fans dann mit dem Solo-Stück „I’ll see you in my dreams“, ein melancholisches Lied über die eigene Vergänglichkeit und die Wichtigkeit der kleinen Dinge, beseelt in die Nacht.

Eine persönliche Anmerkung zum Schluss sei mir noch erlaubt: Keiner derer, die dieses Konzert live erleben durften, werden es je vergessen oder hinten auf der Festplatte unter „war ich auch mal da“ abspeichern. Das wage ich zu behaupten. In meiner persönlichen Historie ist es das Nummer-1-Konzert (neben Udo Lindenberg 2022 in der Waldbühne) – und ich habe schon verdammt viele Konzerte gesehen.

Auch dafür: Danke, Boss!

Von Matthias Sobottka