Von Thomas Mitzlaff
Winsen. „Und wenn ich jetzt eine Gartenhacke, drei CDs und eine Rolle Klopapier bestellt habe – dann wird das alles hier genau an dieser Stelle eingepackt?“ Stephan Weil will es ganz genau wissen. Niedersachsens Ministerpräsident hat zwar nach eigenem Bekunden noch nie etwas bei Amazon bestellt, sondern setzt lieber ganz auf den stationären Einzelhandel. Doch „die Perfektion der Abläufe hier ist wahrscheinlich einmalig“, stellt der Landesvater nach einem Rundgang durch das moderne Lager in Winsen fest.
Gespräch auch
mit dem Betriebsrat
Eigentlich stand der Besuch bei einem der größten Arbeitgeber im Landkreis Harburg schon im März diesen Jahres auf dem Programm. Doch Amazon bestand nach Auskunft der Staatskanzlei darauf, die Medien nicht zu informieren und lehnte auch ein Gespräch Weils mit dem Betriebsrat ab – der Ministerpräsident sagte den Termin daraufhin kurzfristig ab, der Online-Gigant stand blamiert da.
Jetzt nun der zweite Anlauf, und auch der stand zunächst unter keinem guten Stern. Denn Stephan Weil ließ lange auf sich warten, ein Stau auf der Autobahn bremste ihn aus. Doch dann sprach er deutlich länger als geplant mit Betriebsleitung und Betriebsrat, „einen solchen Besuch hätte man auch schon im Frühjahr haben können“, erklärte der Ministerpräsident anschließend mit einem Lächeln vor den zahlreichen Medienvertretern.
Bei den Gesprächen dabei war auch der Betriebsratsvorsitzende Detlev Börs, den Amazon eigentlich längst feuern wollte und dafür auch vom Arbeitsgericht Lüneburg im April grünes Licht bekommen hatte. Denn Börs hatte ein mehrtägiges Betriebsratsseminar in Bonn zum Teil geschwänzt und stattdessen lieber seiner Ex-Frau in Düsseldorf einen nächtlichen Besuch abgestattet. Das sei ein Kündigungsgrund, attestierten die Richter. Er habe Berufung gegen das Urteil eingelegt, erklärte Börs gegenüber dem WA. Und weil die Entscheidung somit noch nicht rechtskräftig ist, ist er vorerst weiter im Amt.
Ein Lob
vom Gewerkschafter
Und der Gewerkschafter attestierte dem Ministerpräsidenten, sich gut auf seinen Besuch vorbereitet zu haben. „Er hat die richtigen Fragen gestellt“, lobte Börs. Ein Thema sei die Tarifbindung gewesen, die er aus großer Überzeugung für richtig und wichtig halte, erklärte Stephan Weil. „Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass es mir gelungen ist, Amazon davon zu überzeugen.“
Das Logistik-Unternehmen verweist vielmehr darauf, dass es ab September in Winsen rechnerisch einen Einstiegslohn von 14,10 Euro brutto plus Extras zahle. Nach ein und zwei Jahren stiegen die Löhne automatisch. „Diese Angaben beziehen sich auf Jobs für Logistikmitarbeiter, für die keine Vorqualifikation nötig ist“, erklärte ein Sprecher.
Stephan Weil war derweil schon hoffnungslos im Zeitverzug. Doch während sein Gefolge ungeduldig zum Aufbruch drängte, suchte der Ministerpräsident noch die Azubis des Unternehmens auf, die geduldig auf ihn warteten. Weil signierte einen Roboter des Nachwuchses, stellte Fragen über die Berufsperspektiven und die Zufriedenheit im Job.
Das pikante
Thema Datenschutz
Und dann war da noch das Thema Datenschutz. Denn die Arbeitsplätze am Winsener Standort werden quasi lückenlos überwacht, auch dazu ist gerade ein Berufungsverfahren anhängig. Er werde laufende Gerichtsverfahren nicht kommentieren, erklärte Weil. Doch grundsätzlich gelte es, das richtige Maß zwischen Effizienz und Persönlichkeitsrechten zu finden. „Das ist keine leichte Aufgabe.“
Und so endet ein rund anderthalbstündiger Blitzbesuch, der auch gerne doppelt so lange hätte dauern können, bekundete der Gast aus Hannover. Er habe an diesem Nachmittag viel Neues erfahren, so Weil.
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Mitarbeiter aus 100 Nationen
Der Amazon-Standort Winsen ist seit 2017 in Betrieb. Es war auf dem deutschen Markt das erste Logistikzentrum, in dem hochmoderne Transport-Roboter eingesetzt werden. Diese Roboter fahren mit einer Geschwindigkeit von 5,5 Stundenkilometern und wiegen 145 Kilo. Sie heben die Regale mit den Produkten hoch und bringen sie zu den Mitarbeitern in der Wareneinlagerung und -entnahme. Dadurch entfallen Laufwege. Diese Technik ist mittlerweile Standard in vielen weiteren Logistikzentren. In Winsen sind insgesamt über 2000 Mitarbeiter aus fast 100 Nationen beschäftigt.