Der Traumberuf Arzt entwickelt sich in Anbetracht des zunehmenden Fachkräftemangels in vielen deutschen Kliniken zur wahren Belastungsprobe. Immer mehr Mediziner fühlen sich nicht mehr wohl und wünschen sich Unterstützung. Dies geht aus einer Umfrage des Marburger Bundes hervor, an der im vergangenen Herbst deutschlandweit über 6.500 Ärzte teilgenommen haben – unter ihnen auch mehr als 1.200 aus Niedersachsen. Sie zeichnen nicht nur bundesweit, sondern auch im Bundesland ein düsteres Bild.
Der Ärztemangel zeigt sich deutlich
Der Marburger Bund Monitor 2019 befasste sich mit den Rahmenbedingungen, denen sich Mediziner in deutschen Kliniken täglich stellen müssen. Zum ersten Mal fanden in der Umfrage auch gesundheitliche Aspekte Berücksichtigung. In Niedersachsen selbst geht der Trend hin zum überlasteten Arzt, der Privatleben sowie Gesundheit zugunsten des Berufs vernachlässigt.
Diese Entwicklung steht in Verbindung mit der vielerorts sichtbaren Unterbesetzung in einzelnen Abteilungen. Alleine in den niedersächsischen Kliniken fehlen etwa 700 Mediziner. Offene Stellen gibt es, wie die Angebote bei fachbezogenen Jobbörsen wie praktischarzt.de zeigen, in großer Zahl. Auch in der Umfrage selbst spiegeln sich die personellen Verhältnisse wider: 26 Prozent der Befragten gaben an, dass in ihren Abteilungen zwei Kräfte fehlen. Von mehr als vier fehlenden Köpfen berichteten zehn Prozent.
Ärzte wünschen sich mehr Unterstützung
Die Unterbesetzung in Kliniken stellt ein Problem dar, aus dem sich zahlreiche Unwegsamkeiten entwickeln. Auch in der auf Niedersachsen fokussierten Auswertung des MB Monitors zeigt sich das: hier gaben ganze 17 Prozent der Ärzte an, über eine Beendigung ihrer beruflichen Tätigkeit nachzudenken.
Die wöchentliche Arbeitszeit vieler Mediziner beschränkt sich indes nicht auf die klassischen 37 bis 40 Stunden, sondern geht erheblich darüber hinaus. Von den Befragten gaben 40 Prozent an zwischen 49 und 59 Stunden zu arbeiten, 17 Prozent nannten eine Wochenarbeitszeit von 60 bis 79 Stunden und in zwei Prozent der Fälle überstieg die Angabe sogar die Achtzig-Stunden-Marke.
Zu ihren Überstunden befragt, leisten 57 Prozent der niedersächsischen Ärzte zwischen vier und 19 davon wöchentlich. Eine ausgleichende Vergütung erhalten 28 Prozent von ihnen, einen Freizeitausgleich bekommen 47 Prozent. Rund ein Viertel der Befragten muss ohne einen Ausgleich der geleisteten Überstunden auskommen.
Nicht unwichtig im Hinblick auf die regelmäßigen Überstunden der Mediziner sind auch deren Angaben, was den zeitlichen Aufwand für Verwaltungstätigkeiten betrifft. Hier berichteten 26 Prozent davon, täglich drei Stunden dafür zu benötigen. Kein Wunder also, dass sich 72 Prozent der Ärzte mehr Entlastung durch Verwaltungspersonal wünschen.

So geht es den Ärzten im Land wirklich
Viele Überstunden, ein hoher Verwaltungsaufwand und häufige Bereitschaftsdienste: dass Ärzte in Niedersachsen unter Stress stehen ist ganz offensichtlich. Lediglich zehn Prozent von ihnen verzichten nie auf ihre Pause, während 20 Prozent dies sogar täglich tun.
In der Selbsteinschätzung der persönlichen Arbeitsbelastung bezeichnen sich 45 Prozent der Befragten als „häufig überlastet“. 21 Prozent bejahten die Frage danach, ob sie schon einmal eine Überlastungsanzeige gestellt haben, in 77 Prozent der Fälle führte diese Anzeige aber nicht zu einer Besserung der Umstände. Elf Prozent berichteten sogar von einer weiteren Verschlechterung.
Angesichts der Umfrageergebnisse ist es nachvollziehbar, dass sich Ärzte und Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen stark machen. Erst vor kurzem wurden Forderungen nach höheren Gehältern sowie Neuregelungen bei Arbeitszeiten und Bereitschaftsdiensten laut. Experten weisen in diesem Zusammenhang häufig darauf hin, dass die Bedingungen im Gesundheitssystem nicht die Gesundheit jener gefährden dürfen, die kranke Menschen behandeln müssen.
Dass genau dies dennoch der Fall sein könnte, liegt nahe. Dem Marburger Bund gegenüber gaben 71 Prozent der Befragten an, dass ihre Gesundheit unter den Arbeitsbedingungen leidet. 61 Prozent
berichteten vom Bewusstsein dafür, mehr auf die eigene Gesundheit achten zu müssen und über die Hälfte haben ihren Aussagen zufolge Schwierigkeiten beim Schlafen.
Fazit: Viele Maßnahmen sind notwendig
Um den Medizinern in Niedersachsen und ganz Deutschland künftig bessere Arbeitsbedingungen bieten zu können, müssen die Verantwortlichen an zahlreichen Stellschrauben drehen. Eine
konsequente Bekämpfung des Ärztemangels steht ganz oben auf der Liste. Nur hierdurch lässt sich einer Unterbesetzung von Klinikabteilungen entgegenwirken.
Auf welchen Ebenen angesetzt werden muss, bleibt allerdings vielerorts unklar: vom Zuzug ausländischer Mediziner über die Schaffung neuer Studienplätze bis hin zur Neugestaltung von finanziellen Anreizen für künftige Landärzte ist die Liste der Maßnahmen lang. Fest steht dabei jedoch, dass der Fokus auf ländliche Regionen allein nicht ausreicht, um die Situation der deutschen Ärzte zu erfassen. Auch in Kliniken ist die Lage angespannt und bedarf dringend deeskalierender
Maßnahmen.
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